Colin-Saga 03 - Die Erben des Imperiums
schüttelte diese Sorge um seine eigenen Gefühle ab.
»Es ist nicht Eure Schuld. Wir haben uns schuldig gemacht, indem wir unsere gottlosen Hände an Euch gelegt haben.« Er ließ den Kopf sinken. »Es war meine Schuld, nicht die Eure, Erlaucht.«
»Nein, das war es nicht!«, erwiderte sie so scharf, dass er unwillkürlich den Kopf hob, erschreckt über ihren Zorn. Ihr gesundes Auge blickte ihn bohrend an, und sie schüttelte heftig den Kopf. »Denk das niemals, Stomald! Ihr habt das getan, was eure Kirche euch zu tun gelehrt hat, und …« Wieder stockte sie, biss sich auf die Lippen, und nickte dann, wie für sich selbst. »Und hier geschieht viel mehr, als ihr alle bisher wisst.«
Erstaunt blickte Stomald sie an, erneut bis tief ins Herz gerührt darüber, dass sie bereit war, dem Mann zu vergeben, der sie beinahe bei lebendigem Leibe verbrannt hatte, und doch verwirrt ob ihrer Worte. Sie war ein Engel, mit der Fähigkeit der Engel, Dinge zu wissen, die kein Sterblicher wissen konnte, und doch ließ ihre Stimme vermuten, dass sie mehr als nur das meinte. Verwirrung erfasste ihn, erfüllte ihn, und er griff nach dem ersten Gedanken, der ihm durch den Kopf schoss.
»Ihr schätzt Erlaucht Sean sehr, nicht wahr, Erlaucht?«, fragte er und hätte sich im gleichen Augenblick die Zunge abbeißen mögen. Die Frage lag viel zu nahe bei der verbotenen Sehnsucht, und er erwartete ihren Zorn, doch sie nickte nur.
»Ja«, antwortete sie leise. »Ich schätze sie alle, aber am meisten doch Sean.«
»Ich verstehe«, entgegnete er, und der Dolch, der in seinem Herzen herumgedreht wurde, verriet ihn. Er hörte den Schmerz in seiner Stimme, versuchte sich umzuwenden und zu fliehen, doch ihre Finger schlossen sich fester um die seinen, stärker als Stahl und doch zärtlich, hielten ihn fest, ohne ihn zu verletzen, und gegen seinen Willen erwiderte er ihren Blick.
»Stomald, ich …«, setzte sie an, dann schüttelte sie den Kopf und sagte etwas anderes. Sie sprach zu sich selbst, in ihrer eigenen Sprache, in der Sprache, in der sie mit Engel Sandy und ihren Ersten Kriegern sprach. Stomald vermochte ihre Worte nicht zu verstehen, doch er erkannte, dass eine sonderbare Endgültigkeit darin lag, eine Entschlossenheit, und sein Herz hämmerte, als sie ihn hinüber zu einem Hocker führte. Auf ihre Geste hin setzte er sich, wie immer fühlte er sich unwohl dabei, in ihrer Gegenwart zu sitzen, und sie holte tief, tief Luft.
»Ich schätze Sean sehr, wirklich sehr«, erklärte sie. »Er ist mein Bruder.«
»Euer …?« Mit offenem Mund starrte Stomald sie an, versuchte zu verstehen, doch sein Verstand verweigerte ihm den Dienst. Er hatte spekuliert, hatte geträumt, hatte gehofft, aber er hatte niemals zu glauben gewagt. Erlaucht Sean war ein Sterblicher, so sehr er auch von Gott berührt sein mochte. War er allerdings ihr Bruder, konnte sich das Blut Sterblicher tatsächlich mit dem von Engeln vermischen, dann …
»Es ist an der Zeit, dass du die Wahrheit erfährst«, fuhr sie mit leiser Stimme fort.
»Die … die Wahrheit?«, wiederholte er, und sie nickte.
»Es gibt einen Grund, warum Sandy und ich darauf bestanden haben, immer und immer wieder, uns nicht wie Engel zu behandeln, Stomald. Denn wir sind keine.«
»Sind keine?«, wiederholte er stupide. »Sind keine … sind keine was , Erlaucht?«
»Engel.« Wieder seufzte sie, und ihr Gesichtsausdruck schockierte ihn zutiefst. Sie starrte ihn an, mit dem Auge, das ihr noch verblieben war, schaute ihn unendlich sanft an, als fürchte sie seine Reaktion, doch er konnte sie nur wortlos anblicken. Keine Engel? Das war … das war doch absurd! Natürlich waren sie Engel! Deswegen hatte er doch seinem Volk ihre Botschaften gepredigt, deswegen zog doch Mutter Kirche im Heiligen Krieg gegen Malagor! Sie mussten Engel sein!
»Aber …« Das Wort kam ihm nur heiser und zittrig über die Lippen, und er schlang die Arme um den Leib, als wolle er sich vor einem eisigen Wind schützen. »Aber Ihr seid Engel! Die Wunder, die Ihr gewirkt habt, Eure Gewänder – die Dinge, die Erlaucht Sean und Erlaucht Tamman auf Euer Geheiß hin getan haben, die wir alle miterleben konnten …«
»… sind überhaupt keine Wunder«, sagte sie mit der gleichen sanften Stimme, als flehe sie darum, er möge sie verstehen. »Das sind … ach, wie kann ich dir das nur begreiflich machen?« Sie wandte sich ab, die Arme vor der Brust verschränkt, und ihr Rückgrat war kerzengerade. »Wir … können viele
Weitere Kostenlose Bücher