Coltan
mehr aber auch nicht.
Der Punkt bewegte sich nicht. Sie wartete,
hatte zu warten, bis der Befehl zum Abzug oder Einsatz kam. Sie wäre nicht einfach
zurückgefahren, wenn sie Verdacht geschöpft hätte. Wer den Verdacht hegt, dass
er entdeckt wurde, verlässt das Spielfeld. So sind die Regeln.
Ahrendt klickte auf ein Icon und Maders
Personalakte erschien auf dem Bildschirm. Attraktiv, leider bei der falschen
Einheit. Nichts von dem, was er las, beantwortete seine Fragen. Floskeln, die
zu jedem passten, der regelmäßig seiner Arbeit nachging. Von besonderen intellektuellen
Fähigkeiten kein Wort. Aber wem sollte das auch auffallen, dachte er,
schließlich arbeitet sie beim LKA, da wird man nichts, wenn man sich zu
auffällig verhält. Bei denen gelten grundlegende Rechtschreibkenntnisse schon
als Qualifikationsmerkmal.
Auch Gallerts Personalakte half ihm nicht
weiter. Warum hing das Foto in seiner Wohnung? Zufall? Es gibt keine Zufälle,
nur schlechte Planung. Zufall ist die Ausrede der Faulen. Eine zufällige
Sommerbekanntschaft? Was hatte dieser Bulle mit einer Edelnutte zu schaffen? Es
schmerzte ihn, nicht mehr zu wissen. Aus seiner Jackettasche zog er einen
Streifen Aspirin hervor. Warum fanden sie keine Antworten, weder Reutter noch
van Broiken? Faulheit? Dummheit?
Langsam ließ der stechende Schmerz nach. Früher
verursachte Dummheit ihm Übelkeit. Er konnte sich immer auf seinen Bauch verlassen,
doch mit den Jahren hatte er diese Fähigkeit verloren. Kein Mensch kann auf
Dauer mit dem Gefühl leben, andauernd kotzen zu müssen. Intelligenz ist ein
rares Gut.
Ahrendt konnte sich nicht erinnern, je so viele
unbeantwortete Fragen in einem Fall gehabt zu haben. Er ließ die
Videoaufzeichnung zurücklaufen, zoomte auf die Frontscheibe. Er spulte zurück,
ließ die Aufzeichnung langsamer laufen.
Jetzt sah er es: Da war nichts. Eigentlich
hätte er Mader sehen müssen, aber Fahrer- und Beifahrersitz waren leer. Sie
vertrat sich auch nicht die Beine auf der Straße. Nichts, kein Haaransatz, kein
Arm, keine Hand.
Das Auto stand da, wo sie das Handy geortet
hatten, von ihr keine Spur.
Dieses Aas, fluchte er still. Dass sie zum
Pinkeln in eins der Häuser gegangen sein könnte, wollte er nicht glauben. Ahrendt
stand ruckartig auf und der Sessel krachte gegen die Wand. Aufgeflogen! Ausgetrickst,
von zwei Bullen! Er riss an seinem Schlips, öffnete den obersten Hemdknopf und
trat gegen den Konferenztisch.
Irrtum ausgeschlossen! Zumindest auf eine
seiner vielen Fragen gab es nun eine Antwort.
55
Ein vierstöckiger Wohnblock. Die Bäume sind
sorgsam gestutzt, ihre dicken Stämme zeugen vom Alter und dem Willen, sie nicht
in den Himmel wachsen zu lassen. Penibel geharkte Blumenrabatten mit Stiefmütterchen,
Goldregen und altersschwachen Apfelrosen. Gegenüber die Parkplätze, versehen
mit Nummern und Ketten.
Die Fassade sauber, unauffällig, braune Rahmen
umschließen die Fenster, das frische Nachwende-Weiß schon wieder grau.
Frauen in Kittelschürzen und Männer in
Unterhemden lehnten, gestützt auf Kissen, aus den Fenstern. Einer schien den
andern zu verständigen. Der Streifenwagen sorgt in der sonst ruhigen Straße für
Aufregung, zumindest für Abwechslung. Fragende Blicke? Irgendwo brüllt ein Kind.
Ihre Wohnung liegt im zweiten Stock.
Das Treppenhaus riecht nach Scheuermittel, die
grau-weiß gesprenkelten Stufen sind blitz-blank. Ich versuche mir vorzustellen,
wie Lily Stufe um Stufe genommen hat, wie hier und da eine Tür aufging. Sie, ja
Sie meine ich. Sie sind doch die Frau Grunwald aus dem zweiten Stock. Nein, ich
bin die Frau Gormann. Ach ja, richtig. Sie waren ja nicht da, aber Sie wissen
schon, dass montags und donnerstags die Treppe gewischt werden muss? Tut mir
leid. Morgen, wenn es denn recht ist? Jaja, Sie sind ja viel unterwegs. Ruh‘n
Se sich erst mal aus, junge Frau. Morgen reicht dicke. Klapp, klapp. Alle Türen
zu. Musste ja mal gesagt werden.
Ich bitte den fröhlich sächselnden Beamten, vor
der Tür zu warten.
Das Klingelschild: L. Gormann, mit schwungvoller
Hand geschrieben auf einem Stück weißen Karton. Das Sicherheitsschloss springt
nach wenigen Sekunden auf. In der dritten Etage wird eine Tür geöffnet, vorsichtig.
Verstohlene Blicke übers Treppengeländer. Der Geruch von heißem Bratfett flutete
durchs Treppenhaus. Mittagszeit.
Ich stoße die Tür auf und blicke in einen
kurzen Flur. Eine Edelstahlgarderobe, links zwei Türen, rechts eine.
Vielleicht wäre es doch besser
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