Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
auszuüben: im
Tschador, und darunter splitternackt. Ist so prak-
tisch wie diskret und hält den bösen Blick auf Ab-
stand.
Sie begrüßt Lino mit Wangenküßchen, verab-
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reicht mir einen respektvollen Schmatz mitten auf
den Schädel und setzt sich mir gegenüber hin. Ihr
Metier hat begonnen, erste Spuren der Abnutzung
in ihrem Gesicht zu hinterlassen. Sie hat sich einen Schönheitsfleck auf die Wange tätowiert, doch der
dunkle Fleck auf ihrem Kinn deutet darauf hin, daß
das letzte Abenteuer übel für sie ausgegangen sein
dürfte.
„Ist ja eine Ewigkeit her, Onkel Brahim!“ zwit-
schert sie voll Entzücken, mich wiederzusehen.
„Mensch, hast du abgenommen!“
„Ich achte auf meine Linie. Wie geht es Mina
und den Kindern?“
„Den Umständen entsprechend. Und dir?“
„Solala. Auf und ab …“
„Hmm! Mir wird ganz anders!“ jault Lino.
Sie lacht, tätschelt ihm liebevoll das Handgelenk
und bekennt: „Dein Pferdeschwanz ist echt super!“
„Und nicht nur der!“
Vollidiot, Lino!
Als ich Jo – mit vollem Namen Joher – kennen-
lernte, arbeitete sie in der Verwaltung eines großen Staatsbetriebs. Eine Dame ohne Fehl und Tadel,
mit strenger Frisur und kantiger Brille. Damals
dachte sie noch, sie hätte eine große Karriere vor
sich, bei den Diplomen, die sie von der Universität mitgebracht hatte. Nur daß die phallokratische Gesellschaft, in der wir leben, ihr als einziges Beför-derungskriterium das Sofa anbot. Irgendwann
machte sie dann wirklich die Beine breit – was
beim Mann dem Hände hoch! entspricht. Und da wollte kein Schwanz sich lumpen lassen, nicht der
Direktor noch der Chef vom Dienst, nicht der
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Buchhalter und auch nicht der Laufbursche. Da die
Nachfrage immer stärker wurde, war Joher ge-
zwungen, Doppel- und Dreifachschichten einzule-
gen, bis hin zur Overdose. Völlig erledigt und des-
illusioniert wurde sie schließlich rausgeschmissen
und fand sich in der Brandung des Straßenstrichs
wieder, wo die Polizei ihr das Leben zur Hölle
machte. Dann, eines Abends, als wir jemanden
einfangen wollten, willigte sie ein, für mich den
Lockvogel zu spielen. Seitdem macht sie hin und
wieder den Polizeispitzel, als Gegenleistung drü-
cken wir ein Auge bei ihren Steuerschulden zu.
„Worum geht’s, Onkelchen? Ich habe wirklich
keine Zeit. Im Untergeschoß warten schon zwei
Kunden auf mich.“
Ich zeige ihr das Foto von Alla Tej. Sie dreht und
wendet es hin und her und verzieht die Lippen,
fragt nach: „Hat der zufällig im Planet der Affen mitgespielt?“
„Kann sein. Momentan ist er Statist in einer
Neuverfilmung der Zeitmaschine .“
Sie legt den Kopf schief, erst nach rechts, dann
nach links.
„Könnte ich mal ein Foto ohne Bart von ihm se-
hen?“
„Scheint, daß er damit auf die Welt gekommen
ist.“
Jo schneidet eine Grimasse und betrachtet kon-
zentriert die mutmaßlichen Gesichtszüge des Man-
nes. Ihr schmaler Finger gleitet über das Foto,
kratzt automatisch am Bart, wie um zu ergründen,
was sich dahinter verbirgt.
„Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, ich ha-
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be ihn hier irgendwo schon mal gesehen.“
„Er heißt Alla Tej. Hängt beim Allerheiligsten* [*
gemeint ist das Märtyrerdenkmal (Maqam)] herum, vor-zugsweise in der Herrentoilette, wenn du verstehst, was ich meine. Wir wissen nicht, wie tief er im
Terrorismus steckt, aber das ist keiner, der die
Hände fromm faltet, wenn er am Boden eine Mün-
ze liegen sieht. Ich brauche ihn, um auf Nummer
Sicher zu gehen. Es ist absolut dringend.“
Jo blickt nervös auf ihre Armbanduhr und läßt
das Foto in ihre Handtasche gleiten. Ihr Blick fällt auf Ewegh und bleibt an ihm kleben. Die Statur des
Targi läßt sie von Kopf bis Fuß erbeben.
„Der hat nicht genug, um dich auszuführen!“
warnt Lino neidvoll.
„Aber mehr als genug, um mich zu ver führen
…!“
Sie steht auf, küßt mich auf die Stirn, zieht den
Leutnant am Zöpfchen und raunt ihm zu: „Wenn
das alles ist, was aus deinem Köpfchen kommt, ist
das nicht gerade ermutigend.“
Spricht’s, winkt uns zum Abschied zu und eilt zu
ihren Transit-Lovern ins Untergeschoß.
6
Der Donner tobt und tost durch die Nacht. Spora-
disch peitschen grelle Blitze das Viertel und bevölkern die Winkel mit albtraumhaften Visionen. Erst
zweiundzwanzig Uhr und keine Menschenseele
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beherzt genug, sich draußen blicken zu lassen. Seit einer guten halben Stunde überwachen wir
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