Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
»wieso haben die Spinner aus Marseille Sie nur weggehen lassen?«
Augenblicklich erstarb Zadiras Lachen.
»Sorry«, murmelte er, »geht mich nichts an.«
»Stimmt, geht Sie nichts an. Trotzdem danke.«
Sie lächelten sich scheu zu.
Zadira dachte über das Gehörte nach. Julie. Noch vier weitere Personen oder mehr. Eine Orgie, Leder, Olivenöl. Lust, Schmerz, Champagner. Aber dann: Strangulation, Zurücklassen der Leiche im Garten …
War dieses brutale Ende das Ergebnis sexueller Gier und Ekstase? Und wieso zum Teufel gab es so viele Spuren? Weil der Mörder in Panik gewesen war? Oder weil …
Wie eine Ohrfeige kam die Erinnerung zurück: Arroganz. Als arrogant hatte Zadira schon die Haltung des Mörders den anderen getöteten Mädchen gegenüber empfunden. Eine Haltung, die in diesem Fall vielleicht sagen sollte: Und wenn schon, ihr könnt mir gar nichts, selbst wenn ich meinen Ausweis an die Leiche hefte, komme ich davon.
»Was ist mit den oberen Zimmern?«, fragte sie.
»Interessante Einrichtung, wenn Sie mich fragen. Minimalistisch und ausdrucksstark. Nicht kompliziert zu putzen«, schmunzelte der schnauzbärtige Kriminaltechniker.
Wieder blitzte etwas in ihrem Kopf auf. Aber sie bekam es nicht zu fassen.
Schon rief er ein weiteres Suchfenster auf und winkte Zadira zum Computer. »Schauen Sie mal.«
Sie beugte sich vor. Das konnte doch nicht wahr sein!
Das sah aus wie der Stuhl in einem der Zimmer.
»Folterstühle. Daran musste ich sofort denken, als ich diesen Thron mit den Drehrädchen und den Eisenstäbchen sah, die sich durch Sitz und Lehne nach oben drückten. Waren schon zu Zeiten der Inquisition beliebt.«
»Faszinierenden Wissensdrang haben Sie, Beaufort.«
»Meine Frau ist Historikerin und lehrt in Aix. Die kommt ständig mit solchen Sachen an, und ich gehöre zu der Sorte von Ehemännern, die sich für den Beruf und die Erkenntnisse ihrer Frauen tatsächlich interessieren.«
»Das ist nicht normal.«
»Ich weiß. Meine Freunde aus dem Koch-Club verstehen diese pathologische Neugierde an meiner eigenen Frau auch nicht.«
Zadira klickte die Fotos durch. Diese Folterstühle waren entwickelt worden, um Hexen und »Teufelsbuhlen«, wie es an einer Stelle hieß, durch »peinliche Befragung« zu einem Geständnis zu bringen. Nur waren die Metallstäbchen der historischen Modelle deutlich spitzer.
In Zadiras Kopf fügten sich die Bilder, die sie auf dem Bildschirm sah, mit den Erinnerungen an den Stuhl in Haus Nummer 9 zusammen. Sie stellte sich vor, wie die armen Frauen nackt auf dem Stuhl saßen und ein grinsender Folterknecht an den Rädchen drehte, woraufhin sich die messerscharfen Stifte von unten und von hinten in die wehrlosen Opfer bohrten.
»Haben Sie an dem Lederbock in dem Zimmer nebenan auch Hautspuren gefunden?«, fragte sie. Beaufort stieß sich von der Tischplatte ab, rollte mit seinem Bürostuhl an den zweiten Schreibtisch.
»Yep. Ist aber noch in der Analyse, die legen eine Kultur davon an. Dauert. Schweiß war da jedenfalls, Schweiß, Speichel und eine ölige Substanz.«
»Olivenöl vielleicht?«
Er machte sich eine Notiz.
Zadira sah wieder und wieder Julie vor sich, bäuchlings auf diesem Lederbock, Gertenhiebe prasselten auf sie nieder. Sie schrie. Man berauschte sich an ihren Schreien.
Zadira schnaubte. Julie war Opfer einer SM-Orgie gewesen. Aber hatte sie freiwillig daran teilgenommen – oder nicht?
»… und da waren noch diese Giftbällchen im Lavendel. Gegen Mäuse und Ratten, schätze ich.«
»Oder gegen Katzen?«
»Oder gegen Katzen.«
Das würde zu ihrer These passen, dass dort, wo junge Frauen starben, auch immer Katzen gequält wurden. Aber irgendwas passte nicht. Zadira spürte eine kribbelige Unruhe, so als läge ein Haufen Puzzleteile vor ihr, die sie aber nicht richtig zusammenzusetzen verstand.
Nun verabschiedete sie sich von Beaufort und hatte sein Büro schon fast verlassen, als er sie noch einmal aufhielt.
»Ach, so: Wollen Sie wissen, welches Stück auf dem CD-Player zuletzt gespielt wurde?«
»Unbedingt.«
»Un bel dì vedremo.«
»Und?«
Beaufort sah Zadira mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Madame Butterfly? Die große Liebesarie?«
In Zadiras Gesicht zuckte kein Muskel, als sie antwortete: »Große Liebesarien kamen in meinem Berufsalltag bisher nicht vor.«
Minotte war ihre letzte Station an diesem Nachmittag in Carpentras. Zadira parkte vor dem Kommissariat und checkte zunächst ihr Handy.
Na endlich!
Brell hatte ihr eine
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