Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
Soldatenstiefel, noch mit dem
Fuß darin, der über dem Knöchel abgerissen war. Ich sprang
auf, bog in den Weg ein und mußte stehenbleiben, um mich zu
übergeben. Meine Beine trugen mich nicht mehr, und ich fiel
zwei- oder dreimal hin, während hinter mir der Lärm der
Flugzeuge verhallte; jetzt hörte man deutlich, wie die
Menschen schrien, weinten, beteten und Befehle zwischen den
brennenden Lastwagen hin- und herflogen. In dem
Augenblick, als ich mein Haus betrat, knallten zwei Schüsse
im oberen Stockwerk, ganz kurz hintereinander.
Zio Stefano – dachte ich – ist ins Haus eingedrungen und
hat seine Rache zu Ende gebracht. Neben der Tür lehnte eine
große Eisenstange, die wir sonst zum Verriegeln benutzten.
Ich nahm sie und schlich die Treppe hinauf. Die
Schlafzimmertür war offen, ein Mann stand direkt hinter der
Schwelle, er hielt noch den Revolver in der Hand und wandte
mir den Rücken zu.«
Der alte Mann hatte die ganze Zeit über nie den Blick auf
den Commissario gerichtet, aber jetzt sah er ihm ins Gesicht.
»Finden Sie, daß ich wie ein Mörder aussehe?«
»Nein«, antwortete Montalbano. »Und wenn Sie damit
den Mann mit der Waffe in der Hand meinen, der im Zimmer
stand – seien Sie beruhigt, das war eine Zwangslage, es war
Notwehr.«
»Wer einen Menschen ermordet, ist und bleibt ein
Mörder, was Sie da sagen, sind die juristischen Formeln für
hinterher. Was zählt, ist der Wille des Augenblicks. Und ich
wollte diesen Mann ermorden, was auch immer er Lisetta und
Mario angetan hatte. Ich hob die Eisenstange und versetzte
ihm einen Schlag in den Nacken, mit aller Kraft und der
Hoffnung, ihm den Kopf zu zerschmettern. Als er stürzte, gab
der Mann den Blick auf das Bett frei. Da lagen Mario und
Lisetta, nackt, umschlungen, in einem Meer von Blut. Sie
mußten, während sie sich liebten, von dem Bombenangriff
ganz nah beim Haus überrascht worden sein und hatten sich
vor Angst so ineinander verschlungen. Für sie konnte ich
nichts mehr tun. Für den Mann, der hinter mir am Boden lag
und röchelte, vielleicht schon. Mit einem Fußtritt drehte ich
sein Gesicht nach oben, er war ein Handlanger von Zio
Stefano, ein Verbrecher. Systematisch schlug ich seinen Kopf
zu Brei. Dann drehte ich durch. Ich wanderte durch die
Zimmer und sang dabei. Haben Sie schon einmal einen
Menschen getötet?«
»Ja, leider.«
»Sie sagen ‚leider’, Sie haben also keine Befriedigung
darüber empfunden. Bei mir war es mehr als Befriedigung, es
war Freude. Ich war glücklich, ich sang ja sogar. Dann fiel ich
auf einen Stuhl, vom Grauen überwältigt, vom Entsetzen über
mich selbst. Ich haßte mich. Sie hatten es geschafft, einen
Mörder aus mir zu machen, und ich war nicht fähig gewesen
zu widerstehen, sondern war sogar glücklich darüber. Das Blut
in mir war vergiftet, obwohl ich versucht hatte, es zu reinigen
– mit Vernunft, Erziehung, Bildung oder was Sie sonst wollen.
Es war das Blut der Rizzitanos, meines Großvaters, meines
Vaters, von Männern, denen anständige Leute im Dorf aus
dem Weg gingen. Ich war wie sie und schlimmer als sie. In
meinem Delirium glaubte ich dann, eine Lösung zu sehen.
Wenn Mario und Lisetta weiter schlafen würden, dann wäre
dieses ganze Grauen nie geschehen. Ein Alptraum, eine
Horrorvision. Da...«
Der alte Mann war wirklich am Ende seiner Kräfte,
Montalbano fürchtete, er könne einen Schlaganfall erleiden.
»Lassen Sie mich weitersprechen. Sie nahmen die beiden
Leichen, brachten sie in die Höhle und legten sie dort
zurecht.«
»Ja, aber das sagt sich so leicht. Ich mußte sie einzeln
hineintragen.
Ich
war
erschöpft
und
buchstäblich
blutgetränkt.«
»Wurde die zweite Höhle, die, in die Sie die Toten
brachten, auch zum Lagern der Schwarzmarktware benutzt?«
»Nein. Mein Vater hatte den Eingang mit Steinen trocken
zugemauert. Ich nahm sie heraus und tat sie am Schluß wieder
an ihren Platz. Um sehen zu können, benutzte ich
Taschenlampen, davon hatten wir viele draußen auf dem Land.
Jetzt mußte ich noch die Symbole des Schlafes finden, die aus
der Legende. Bei dem Krug und der Schale war es einfach,
aber der Hund? In Vigàta war an Weihnachten des vorigen
Jahres...«
»Ich weiß«, sagte Montalbano. »Den Hund hat bei der
Versteigerung jemand von Ihrer Familie gekauft.«
»Mein Vater. Aber weil er meiner Mutter nicht gefiel,
kam er in eine Abstellkammer im Keller. An diesen Hund
erinnerte ich mich.
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