Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde

Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde

Titel: Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
Vom Netzwerk:
Giacomo diesen ganzen Aufwand? Einverstanden, er will nicht so leicht aufgespürt werden. Aber von wem? Und vor allem warum? Während Ra­gioniere Gargano zwanzig Milliarden Gründe hat zu ver­schwinden, hat Pellegrino doch eigentlich keinen einzigen.
    »Ciao, mein Schatz. Hast du einen harten Tag gehabt?«
    »Livia, kannst du einen Augenblick warten?«
    »Natürlich.«
    Er holte einen Stuhl, setzte sich hin, steckte sich eine Ziga­rette an, machte es sich bequem. Er war sicher, dass dieses Gespräch ziemlich lange dauern würde. »Ich bin ein bisschen müde, aber nicht weil ich viel gear­beitet hätte.«
    »Wieso dann?«
    »Ich habe fast acht Stunden im Auto gesessen.«
    »Wo warst du denn?«
    »In Calapiano, mein Schatz.«
    Livia musste die Luft weggeblieben sein, denn der Com­missario hörte deutlich eine Art Schluchzer. Großherzig wartete er, bis sie sich wieder gefangen hatte, und überließ ihr das Wort.
    »Warst du wegen Francois dort?«
    »Ja.«
    »Ist er krank?«
    »Nein.«
    »Wieso warst du dann dort?«
    »Ich hatte spinno.«
    »Salvo, fang nicht an, Dialekt zu sprechen! Du weißt, dass ich das manchmal nicht ertragen kann! Was hast du ge­sagt?«
    »Dass ich den Wunsch hatte, Francois zu sehen. Spinno heißt Wunsch, Lust. Jetzt, wo du das Wort verstehst, frage ich dich: Hattest du denn nie spinno, Francois zu sehen?«
    »Bist du fies, Salvo.«
    »Können wir was ausmachen? Ich spreche nicht Dialekt, und du beleidigst mich nicht. Einverstanden?«
    »Woher weißt du, dass ich Francois besucht habe?«
    »Der Junge hat es mir erzählt, als er mir zeigte, wie gut er reiten kann. Die Erwachsenen haben dein Spiel mitge­ spielt, sie haben kein Wort gesagt, sie haben sich an die Abmachung gehalten. Denn offensichtlich hast du sie ge­beten, mir von deinem Besuch nichts zu sagen. Und mir hast du erzählt, du hättest einen freien Tag und würdest mit einer Freundin an den Strand gehen, und ich Idiot hab dir das abgenommen. Eines wüsste ich gern: Hast du Mimi gesagt, dass du nach Calapiano wolltest?« Er erwartete eine heftige Antwort, wie sie sich für einen richtigen Streit gehörte. Doch Livia brach in Tränen ais, lange, verzweifelte, gequälte Schluchzer. »Livia, bitte.«
    Die Verbindung wurde unterbrochen. Er stand langsam auf, ging ins Bad, zog sich aus, wusch sich und blickte, bevor er den Raum verließ, in den Spie­gel. Lange. Dann sammelte er die ganze Spucke, die er im Mund hatte, und spuckte auf sein Spiegelbild. Er löschte das Licht und legte sich ins Bett. Sofort stand er wieder auf, weil das Telefon klingelte. Er nahm ab, aber am ande­ren Ende der Leitung sagte niemand etwas, er hörte nur Atmen. Montalbano kannte dieses Atmen. Er fing an zu reden. Ein Monolog, der fast eine Stunde dau­erte, ohne Weinen, ohne Tränen, aber schmerzlich wie Livias Schluchzen. Und er sagte ihr Dinge, die er nicht mal vor sich selbst hatte zugeben wollen, wie er verletzte, um nicht verletzt zu werden, wie sehr er seine Einsamkeit schon eine Zeit lang eher als Schwäche und nicht mehr als Stärke empfand, wie bitter es für ihn war, etwas sehr Ein­faches und Natürliches zur Kenntnis zu nehmen: dass er älter wurde. Am Ende sagte Livia nur: »Ich liebe dich.«
    Bevor sie auflegte, fügte sie hinzu:
    »Meinen Urlaub nehme ich trotzdem. Ich bleibe einen Tag länger hier und komme dann nach Vigàta. Nimm dir frei, ich will dich ganz für mich haben.«
    Montalbano ging wieder ins Bett. Er konnte gerade noch unter die Decke schlüpfen, als er schon die Augen schloss und einschlief. Leichtfüßig wie ein Kind ging er ins Land des Schlafes hinüber.
    Es war elf Uhr morgens, als Fazio Montalbanos Büro be­trat.
    »Dottore, wissen Sie schon das Neueste? Pellegrino hatte sich im Reisebüro Intertour in Montelusa ein Ticket nach Lissabon ausstellen lassen. Die Maschine ist am Einund­dreißigsten nachmittags um halb vier gestartet. Ich habe in Punta Raisi angerufen. Und diesen Flug hat Pellegrino genommen, wie mir gesagt wurde.«
    »Und das glaubst du?«
    »Warum sollte ich es nicht glauben?«
    »Weil er ihn an irgendeinen Passagier auf der Warteliste verkauft haben wird, und er selbst ist dann ins Büro zu­rückgefahren, nach Vigàta. Das steht fest. Pellegrino war um fünf in der >König Midas<-Agentur, er konnte nicht im Flugzeug nach Lissabon sitzen.«
    »Aber was hat das zu bedeuten?«
    »Das bedeutet, dass Pellegrino ein Dummkopf ist, der sich für schlau hält, aber eben dumm ist. Mach Folgendes. Er­kundige dich

Weitere Kostenlose Bücher