Commissario Montalbano 10 - Die schwarze Seele des Sommers
Pasquano Ihnen gesagt, sie sei vergewaltigt worden?«
»Nein, er hat mir nur gesagt, ihr sei die Kehle durchgeschnitten worden. Aber dass sie vergewaltigt wurde, das spüre ich intuitiv. Mehr noch, da bin ich mir sicher.« Wie hätte es auch anders sein können, als dass das Gehirn des Ermittlungsrichters angesichts der Vorstellung jeder kleinsten Kleinigkeit der Vergewaltigungsszene auf Hochtouren arbeitete!
Und hier hatte Montalbano einen ausgesprochen genialen Einfall, der ihm oder auch Fazio möglicherweise die Pflicht ersparen würde, der Familie die tragische Nachricht zu überbringen.
»Wissen Sie es schon, Dottor Tommaseo? Das ermordete Mädchen soll eine Zwillingsschwester haben, so ist mir zumindest gesagt worden, die angeblich noch weitaus schöner ist als das Opfer.«
»Noch schöner?«
»Scheint so.«
»Dann wäre diese Zwillingsschwester heute zweiundzwanzig.«
»Das kommt genau hin.«
Fazio sah ihn sprachlos an. Was für eine Lügengeschichte hatte sich der Commissario denn da wieder einmal ausgedacht?
Eine Pause trat ein. Mit Sicherheit sah sich der Ermittlungsrichter mit Stielaugen das Karteifoto an und leckte sich den Schnauzbart bei der Vorstellung, die Zwillingsschwester kennenzulernen. Dann redete er wieder. »Wissen Sie, was, Montalbano? Vielleicht ist es besser, wenn ich persönlich den Eltern die Nachricht überbringe… angesichts des jungen Alters des Opfers … der besonderen Grausamkeit der Tat…«
»Da haben Sie völlig recht, Dottore. Sie sind ein Mann mit zutiefst menschlichem Einfühlungsvermögen! Dann denken Sie also daran, die Familienangehörigen zu informieren?«
»Ja. Das scheint mir doch angemessener.« Sie verabschiedeten sich und legten auf. Fazio, der das Spiel des Commissario durchschaut hatte, fing an zu lachen.
»Kaum ist von einer Frau die Rede, ist der…«
»Lass ihn nur. Er wird jetzt zum Haus der Morreales stürzen - in der Hoffnung, dort die Zwillingsschwester anzutreffen, die es gar nicht gibt. Was hatte ich dir eigentlich gerade erzählt?«
»Sie haben mir von Dottor Lozupone erzählt.«
»Ach, richtig. Lozupone ist ein erfahrener Mann, intelligent, einer, der es versteht, sich durchzuschlagen.«
»Was bedeutet das?«
»Das bedeutet, dass Lozupone höchstwahrscheinlich das Gleiche gedacht hat wie wir, nämlich dass das Schutzgeländer nach dem Unglück angebracht worden ist, aber er hat die Sache einfach auf sich beruhen lassen.«
»Und wieso?«
»Vielleicht hat man ihm geraten, sich an das zu halten, was Dipasquale und Spitaleri gesagt haben. Aber es wird schwierig werden, herauszufinden, wer in der Questura oder in dem sogenannten Justizpalast ihm das geraten hat.«
»Na ja, aber eine Idee darf man ja vielleicht haben«, sagte Fazio.
»Und welche?«
»Dottore, Sie haben mir gesagt, dass Sie Lozupone gut kennen. Aber wissen Sie auch, mit wem er verheiratet ist?«
»Nein.«
»Mit der Tochter von Dottor Lattes.«
»Ach.«
Das war nicht schlecht, so als Nachricht. Dottor Lattes, der Kabinettschef des Polizeipräsidenten, wegen seiner salbungsvollen Art auch »Lattes e mieles«, »Milch und Honig« genannt, war ein Mann ganz Kirche und Gebet, ein Mann, der kein Wort aussprach, ehe er es nicht in Vaseline getränkt hatte, und sich ständig, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, bei der Madonna bedankte !
»Weißt du, von wem Spitaleris Schwager politisch unterstützt wird?«
»Vom Bürgermeister? Der Bürgermeister Alessandro ist von derselben Partei wie der Regionspräsident, die im Übrigen wiederum dieselbe ist, zu der auch Dottor Lattes gehört, und der ist der Wahlkampfmanager des Abgeordneten Catapano, womit ja schon alles gesagt ist.« Gerardo Catapano war ein Mann, der sich sowohl mit den Cuffaros als auch mit den Sinagras gut stand, den beiden Mafia-Familien von Vigàta.
Einen Augenblick lang war Montalbano angewidert. Würden sich die Dinge denn niemals ändern? Zarazabara landete man immer wieder aufs Neue zwischen gefährlichen Verwandtschaftsbeziehungen, geheimen Absprachen zwischen Mafia und Polizei, zwischen Mafia und Unternehmern, zwischen Politik und Banken, zwischen Banken bei Geldwäsche und Wucher… Was für ein obszönes Ballett! Was für ein versteinerter Wald aus Korruption, Betrug, Prostitution, Würdelosigkeit, Geschäftemacherei! Er stellte sich ein mögliches Gespräch vor:
»Sei vorsichtig, wie du dich bewegst, denn X, der ein Mann des Abgeordneten Y und Schwiegersohn von K ist, der wiederum ein
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