Commissario Montalbano 12 - Die Spur des Fuchses
beschloss Montalbano, nun alles nachzuholen. »Enzo, ich habe großen Appetit.«
»Das freut mich, Dottore. Was darf ich Ihnen bringen?«
»Weißt du was? Ich hab keine Ahnung, was ich nehmen soll.«
»Lassen Sie mich nur machen.«
Nachdem er sich durch die gesamte Tageskarte gefuttert hatte, hatte er irgendwann das Gefühl, dass ein »hauchdünnes Minzblättchen« ausgereicht hätte, um ihn zum Platzen zu bringen wie die Figur des Mr Creosote in dem Monty-Python-Film Der Sinn des Lebens, der ihn bestens unterhalten hatte. Aber er wusste, dass er nur aus lauter Nervosität so viel gegessen hatte.
Nachdem er eine gute halbe Stunde auf der Mole spazieren gegangen war, kehrte er ins Büro zurück, ohne dass sein Völlegefühl merklich nachgelassen hätte. Fazio erwartete ihn schon.
»Neuigkeiten von letzter Nacht?« war das Erste, was er den Commissario fragte.
»Nein, gar keine. Und was hast du gemacht?«
»Ich bin zum Krankenhaus von Montelusa gefahren. Und da hab ich den ganzen Vormittag verplempert. Keiner wollte mir irgendwas sagen.«
»Warum denn nicht?«
»Datenschutz, Dottore. Außerdem hatte ich keine schriftliche Vollmacht.«
»Also hast du nichts herausfinden können.«
»Wer sagt das?«, fragte Fazio und zog einen Zettel aus seiner Jackentasche.
»Wer hat dir die Informationen gegeben?«
»Der Cousin von einem Onkel von einem meiner Cousins, der, wie ich herausgefunden habe, dort arbeitet.«
Die Nutzung der verwandtschaftlichen Beziehungen, auch der sehr weit entfernten, die in anderen Teilen Italiens gar nicht mehr berücksichtigt wurden, war auf Sizilien oft die einzige Möglichkeit, an Informationen zu gelangen, die Bearbeitung eines Antrags zu beschleunigen, in Erfahrung zu bringen, wo eine verschwundene Person abgeblieben war, eine Stelle für einen arbeitslosen Sohn zu finden, weniger Steuern zu zahlen, Kinokarten umsonst zu bekommen und noch eine Vielzahl anderer Dinge, von denen man klugerweise niemandem etwas erzählte, der nicht zur Verwandtschaft gehört.
Zwölf
»Also, Gurreri Gerlando, geboren in Vigàta am …«, begann Fazio von seinem Zettel abzulesen.
Fluchend schoss Montalbano von seinem Stuhl hoch, beugte sich über seinen Schreibtisch zu Fazio hinüber und entriss ihm den Zettel. Und unter Fazios völlig fassungslosen Blicken knüllte er ihn zusammen und warf ihn in den Papierkorb. Er ertrug diese Meldedatenlitaneien einfach nicht, während Fazio sie liebte, weil sie ihn an die verästelten Genealogien der Bibel erinnerten. Jakobs Erstgeborener Ruben, Rubens Söhne: Henoch, Pallu, Hezron und Karmi. Simons Söhne … »Und was mache ich jetzt?«, fragte Fazio. »Du erzählst mir, woran du dich erinnerst.«
»Aber darf ich den Zettel denn wenigstens hinterher wiederhaben?«
»Na gut.«
Fazio wirkte zuversichtlicher.
»Gurreri ist 46 Jahre alt und verheiratet mit … Ich weiß nicht mehr mit wem, das stand auf dem Zettel. Er wohnt in Vigàta, in der Via Nicòtera 38 …«
»Fazio, ich sag es dir hiermit zum letzten Mal: Überspring die Meldedaten.«
»Schon gut, schon gut. Gurreri ist Anfang Februar 2003 ins Krankenhaus von Montelusa eingeliefert worden, an das genaue Datum erinnere ich mich nicht, weil ich das auf dem…«
»Vergiss das genaue Datum. Und wenn du es wagst, mir noch einmal zu sagen, dass du irgendwas auf diesem Zettel notiert hast, dann hol ich ihn aus dem Papierkorb, und du wirst ihn vor meinen Augen aufessen.«
»Ja, ist gut, in Ordnung. Gurreri war bewusstlos und wurde von jemandem begleitet, von dem ich den Namen nicht mehr weiß, aber den hatte ich auf den…«
»Jetzt erschieß ich dich.«
»Entschuldigung, ist mir so rausgerutscht. Dieser Typ arbeitete mit Gurreri zusammen auf dem Gestüt von Lo Duca. Er hat erklärt, dass Gurreri unglücklicherweise von einer schweren Eisenstange am Kopf getroffen worden sei, genauer gesagt, von der Stange vor dem Gestüt, die als Zugangssperre diente. Um es kurz zu machen: Man hat ihm den Schädel anbohren müssen oder etwas in der Art, weil ein riesiges Hämatom auf sein Gehirn drückte. Die Operation ist zwar gut verlaufen, aber Gurreri wurde arbeitsunfähig.«
»Inwiefern arbeitsunfähig?«
»Insofern, als dass er auf einmal unter Gedächtnislücken litt, immer wieder in Ohnmacht fiel, plötzliche Wutanfälle bekam, so was eben. Ich habe erfahren, dass Lo Duca ihm zwar die Behandlung bei Spezialisten bezahlt hat, aber anscheinend ist trotzdem keine Besserung eingetreten.«
»Wohl eher eine
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