Con molto sentimento (German Edition)
›episch‹ - Patrices Worte nicht Claudes. Auf jeden Fall wollte Patrice das eingespielte Stück für irgendein Onlinespiel verwenden. An dieser Stelle hatte Alexis aufgehorcht und Patrice anschließend ausgefragt, ob er regelmäßig online zockte, was er so spielte und ob er selbst auch programmierte.
Claude hatte sich da derweilen lieber ums Essen gekümmert. War Alexis wirklich an Online-Rollenspiele interessiert oder war er einfach nur höflich? Claude glaubte sich zu erinnern, dass Alexis‘ Schwager in der Computerbranche tätig war, vielleicht fragte er deshalb.
Dieses neue Stück war es nun auch, bei welchem Claude zum ersten Mal so richtig ein Orchester leitete. Bei den übrigen Proben war es leicht gewesen. Die Studenten hatten alle schon ihre Stimmen spielen können und genau gewusst, wie es klingen sollte. Claude hatte sie nur überwachen müssen. Jetzt musste er mehr tun, er musste Hilfestellungen geben und versuchen, die Vorstellung, die er von seinem neuen Werk im Kopf hatte, den anderen Musikern verständlich zu machen.
Die perfekte Übung für ihn. Nicht nur, dass er in den letzten Tagen sich richtig reingehangen und Theoriebücher über das Dirigieren gewälzt hatte. Er wollte sein neues Studium, das in wenigen Wochen begann, so schnell und so gut als möglich durchziehen.
Gott bewahre, dass er nun völlig zum Streber mutierte. Er zeigte alle Anzeichen dafür.
Die Musiker stimmten noch einmal ihre Instrumente, spielten einzelne Töne oder Melodien an. Claude bekam jetzt schon eine Gänsehaut die vertrauten Melodien zu hören. So vertraut es eben war, wenn man sie nur in seinem Kopf kannte. Er blätterte seine Partitur auf.
Es herrschte nun erwartungsvolle Stille im Probenraum. Alle Augen richteten sich auf Claude. Mit einem Mal drang ihm der pure Angstschweiß aus allen Poren. Wie würde es klingen? Würde er das Orchester wirklich führen können? Vertrauten sie ihm, oder wollten sie ihr eigenes Ding durchziehen? Claude versuchte sein bestes Pokerface aufzusetzen damit sie ihm seine Anspannung nicht ansahen. Nicht, dass er je Poker gespielt hätte.
Noch einmal ließ er die Schultern kreisen, um sich zu lockern. Er nahm den Taktstock auf. Zwölf Gramm Buchenholz mit Lacküberzug, die die Welt bedeuten konnten und die er billig bei ebay ersteigert hatte. Er hob den Stock, das Orchester setzte ein.
Noch nie hatte Claude es als solchen Rausch, solch eine Erfüllung empfunden. Wow, das war sogar fast besser als Sex!
Zwei Stunden später hatte er sein T-Shirt komplett durchgeschwitzt. Das nächste Mal würde er sich ein Shirt zum Wechseln einpacken, aber dafür hatten sie die Eigenkomposition von vorn bis hinten durchgearbeitet. Zu schade, dass Alexis es nicht hatte hören können. Bei der nächsten Probe würde Claude seinen Laptop mitnehmen und das Stück mitschneiden. Die Qualität war zwar nicht optimal, aber besser als nichts.
Claude musste noch den Raum abschließen, daher ließ er sich Zeit als er seine Notenblätter und den Taktstock wegpackte. Wer dachte schon, dass dieses bisschen Holz mit der Zeit so schwer werden würde! Aber immerhin bewegte man auch als Dirigent ziemlich oft, um nicht zu sagen immer, die Arme.
Versonnen strich er über den Griff. Mehr denn je war sich Claude sicher, dass er den richtigen Weg ging. Es hatte sich einfach richtig angefühlt, trotz des Nervenflatterns zu Beginn. Diese Probe heute war ein wichtiger Schritt für ihn gewesen.
Hinter sich hörte er das Knarren der Tür. Wahrscheinlich hatte einer der Musiker etwas vergessen und war zurückgekommen, doch stattdessen hörte er jemanden applaudieren. Verdutzt wandte er sich um und staunte nicht schlecht: »Stéphane!«
Was machte sein Ex denn hier? Sollte Stéphane denn nicht in Berlin sein? Noch vor ein paar Tagen hatte sich Claude über Dickens Weihnachtsgeschichte mit den drei Geistern lustig gemacht und überlegt, wer für ihn Geist Nummer Drei sein würde.
›Heilige Scheiße. Wenn man vom Teufel spricht.‹
Stéphane grinste und kam auf ihn zu.
»Du hattest sie gut im Griff. Das liegt deiner dominanten Ader, was?« Stéphane grinste anzüglich und umarmte ihn prompt, als ob es das Normalste der Welt wäre, als ob sie einander nicht vor zwei Monaten das letzte Mal gesehen und nach einer gemeinsamen Nacht Abschied voneinander genommen hätten. Als ob alles beim Alten wäre. Aber für Claude hatte sich so Manches geändert.
»Was
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