Con molto sentimento (German Edition)
Gedankengang.
»Patrice, hast du schon einmal darüber nachgedacht...« Jean beendete den Satz nicht.
»Worüber?« Hatte er irgendetwas verpasst? Jean redete aber auch in Rätseln, doch Patrice hatte den Eindruck, dass der Junge mehr gesagt, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Patrice hatte zunehmend das Gefühl, dass er irgendetwas nicht richtig verstanden hatte.
Jetzt rückte Jean zu ihm auf die Strandmatte und senkte seine Stimme, dabei legte er seine Hand auf Patrices Oberschenkel. »Ich finde dich ziemlich süß.«
Da blieb Patrice der Mund offen stehen und er konnte zuerst nur Jean anblicken und dann nur noch geradeaus starren.
»Du bist echt schwul?«, rutschte es dann irgendwann, sicher Minuten später, aus ihm heraus, als er wieder den Kopf in Richtung Jean zuwandte.
Der hatte etwas Abstand genommen und beobachtet ihn mit einem abschätzenden Blick. »Ja und ich glaube, du würdest auch gerne mal.«
»Was? Geht‘s noch?« Am liebsten hätte Patrice laut geschrien, die Worte für jeden im Umkreis von zwanzig Metern deutlich hörbar hinausgebrüllt. Jedoch besaß er noch ein letztes Fünkchen Verstand und mäßigte seine Stimme. Jean musste nicht darauf antworten, sein Gesicht sprach Bände. Man konnte die roten Wangen wohl auf das warme Wetter und die Sonne zurückführen, doch war es wohl eher die Scham und das Bewusstsein in ein Fettnäpfchen getreten zu sein.
›Fettnäpfchen, pah! Schmalztopf trifft es wohl eher. Was denkt er sich bloß?‹
Patrice konnte kaum mehr einen klaren Gedanken fassten. Er hatte bereits über seine wunderlichen Neigungen nachgedacht, gerade in Hinblick auf Claude. Doch jetzt von seinem Mitschüler angemacht zu werden, in aller Öffentlichkeit auch noch. Sah man es ihm etwa an, dass er schon einmal darüber nachgedacht wäre, wie es sein würde... mit einem Mann? Oh Gott! Ahnte womöglich schon jemand aus seiner Familie etwas? Sah man ihm an, dass er vielleicht... Nein, er wollte den Satz nicht einmal zu Ende denken. Wer sollte denn etwas ahnen? Er wusste ja selbst nicht, was eigentlich mit ihm los war.
»Patrice«, begann Jean mit ruhiger Stimme. So, als ob er mit einem Geiselnehmer reden würde, der gleich damit anfing wild um sich zu schießen, oder ein Geisteskranker, der ein Fleischermesser in der Hand hielt. Noch dazu legte ihm Jean erneut eine Hand auf das Bein, er wollte ihn wohl beruhigen. Ermutigt dadurch, dass Patrice in der Tat still hielt. Nahm er dessen Brille ab und legte sie zur Seite. Dann strich Jean ihm die Haare aus der Stirn und beugte sich nach vorne. Fast berührten sich ihre Lippen und in Patrice stieg die irrationale Panik hoch, dass er seinen ersten Kuss ganz bestimmt nicht von Jean bekommen wollte. Von Claude, das wäre vielleicht gewesen, aber Jean - und dann noch hier im Freibad! Aber es wäre sein erster Kuss! Hatte ihm dies nicht schon so lange zu schaffen gemacht, dass er noch ungeküsst war?
›Ja schon, aber nicht hier‹, klagte Patrice stumm.
Aber kurz bevor Jean noch das letzte Stückchen Abstand zwischen ihren Gesichtern hätte überwinden können, vernahm Patrice eine Stimme, die er jetzt lieber nicht gehört hätte.
»Ach du Scheiße, was geht mit dir ab?« Es war sein Stiefbruder. Ausgerechnet Luc!
Erschrocken fuhr Patrice zurück und sprang auf. Sein Gesicht fühlte sich abwechselnd eiskalt und siedend heiß an.
»Patrice!«, versuchten es Luc und Jean gleichzeitig. Jean, der ihn von unten wissend ansah und Luc, der zu seinem Bruder herüberkam und ihn grob am Arm von dem anderen Jungen wegzerrte.
»Bist du auch einer von denen?«, verlangte Luc zu wissen und Patrice riss sich aus dem krampfhaften Griff los.
»Lass mich in Ruhe!«, schleuderte er Luc entgegen und stieß ihn grob mit der Schulter als er an ihm vorüberging. Was Luc wiederum nicht auf sich sitzen lassen konnte und Patrice zu Boden stieß, dann stürmte auch er davon.
Jean sagte noch irgendetwas, doch Patrice hörte es nicht mehr und drängte die Hand weg, die der andere um seinen Arm gelegt hatte. So hastig es ging, stopfte er seine Sachen in den Rucksack und türmte. Fluchtartig verließ er das Schwimmbad.
Sobald er auf der Straße war, verlangsamten sich seine Schritte. Nicht, dass dies auf seinen Puls zutraf, der hämmerte noch immer unangenehm laut in seinen Ohren. Und ihm war so übel, der Ekel und die Abscheu vor sich selbst ließen die Galle in ihm hochsteigen und
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