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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Bibliothek des Dauphins im Erdgeschoss des Südflügels war.
    Mir war das vor zwei Jahren bekannt, obwohl ich den Raum nie mit eigenen Augen gesehen habe. Denn ich war in jenen Tagen als Hauslehrerin der Nichte von Madame la Duchesse
d’Arcachon angestellt, die Hofdame der Dauphine war. Keinesfalls gehörte die Herzogin jemals diesem kleinen Zirkel von clitoristes an, denn sie ist eindeutig eine Anbeterin junger Männer. Aber sie wusste davon und ging ständig im Privatkabinett ein und aus, stand diesen Leuten zu Diensten, nahm an ihren Levées und Couchées teil usw.
    Nun ist, wie Ihr gewiss gehört habt, die Dauphine vor einigen Monaten plötzlich gestorben. Natürlich vermutet man jedes Mal, wenn hier jemand plötzlich stirbt, üble Machenschaften, zumal wenn der oder die Verstorbene der Herzogin von Oyonnax nahestand. Im Sommer rechnete alles damit, dass der Dauphin die d’Oyonnax heiraten würde, was sie zur nächsten Königin Frankreichs gemacht hätte; er hat jedoch stattdessen heimlich seine frühere Mätresse geheiratet – die Ehrendame seines Halbbruders. Keine sehr renommierte Partie!
    Demzufolge ist nichts klar. Wer sich nicht von der Überzeugung lösen kann, die Dauphine müsse von der d’Oyonnax vergiftet worden sein, hat noch phantastischere Hypothesen entwickeln müssen: beispielsweise, dass es ein geheimes Einverständnis zwischen ihr und dem Dauphin gibt, das ihr einen Prinzen von Geblüt als Ehemann verschaffen wird etc., etc.
    Ich persönlich hege zwar keinerlei Illusionen, was den moralischen Charakter der d’Oyonnax angeht, bezweifle jedoch, dass sie die Dauphine ermordet hat, da sie viel zu klug ist, um etwas derart Offensichtliches zu tun, und da die Sache sie einer der renommiertesten Stellen bei Hofe beraubt hat: der einer Hofdame der nächsten Königin. Aber ich kann nicht umhin, mir um den Gemütszustand der armen Liselotte Gedanken zu machen, die miterleben musste, wie ihr engster gesellschaftlicher Zirkel gesprengt wurde, und nun im Palast keinen bequemen Zufluchtsort mehr hat. Ich glaube, die d’Oyonnax hat sich möglicherweise so positioniert, dass sie in dieses Vakuum hineingezogen wird. Ich frage mich, ob Madame zu diesem Thema Sophie schreibt. Ich könnte einfach Monsieur Rossignol fragen, der alle ihre Briefe liest, aber ich möchte meine Position als seine Mätresse nicht missbrauchen – jedenfalls noch nicht!
    § Apropos Monsieur Rossignol:
    Obwohl mein Aufenthalt auf Château Juvisy vom Frost abgekürzt wurde, war ich doch in der Lage, auf seinem Bibliothekstisch
mehrere in einem sonderbaren Alphabet verfasste Bücher zu bemerken, das ich von meiner Zeit in Konstantinopel vage erkannte, aber nicht genau bestimmen konnte. Ich fragte ihn danach, und er sagte, es sei Armenisch. Das kam mir seltsam vor, da ich vermutet hatte, er habe mit der Vielzahl von Geheimschriften auf Französisch, Spanisch, Lateinisch, Deutsch etc. alle Hände voll zu tun, ohne auch noch so weit in die Ferne schweifen zu müssen.
    Er erklärte, Monsieur le Duc d’Arcachon habe vor seiner Abreise nach Marseille im August eine ungewöhnliche Bitte an das Cabinet Noir gerichtet: nämlich, man möge mit besonderer Sorgfalt etwaige Briefe prüfen, die in der ersten Augustwoche von einer spanischen Stadt mit Namen Sanlúcar de Barrameda ausgingen. Das Cabinet hatte sich ohne weiteres dazu bereit erklärt, da man wusste, dass aus diesem Teil der Welt nur selten Briefe nach Frankreich kommen und die meisten davon schmuddelige Billets heimwehkranker Matrosen sind.
    Sonderbarerweise aber war ein Brief über Monsieur Rossignols Schreibtisch gegangen, der offenbar um den fünften August in Sanlúcar de Barrameda aufgegeben worden war. Ein seltsames, heidnisch anmutendes Ding war das gewesen, offenbar an irgendeinem mohammedanischen Ort geschrieben und versiegelt und dann nicht allzu schonend übers Meer nach Sanlúcar befördert. Er war auf Armenisch geschrieben und an eine armenische Familie in Paris gerichtet. Als Adresse war die Bastille genannt.
    So bizarr und verblüffend dies auch war, hätte sogar ich es ohne weitere Beachtung hingehen lassen, wenn sich nicht, wie es hieß, am sechsten August vor Sanlúcar ein bemerkenswerter Akt der Piraterie ereignet hätte: Wie Ihr vielleicht gehört habt, enterte eine Bande von Barbarei-Korsaren, die als Galeerensklaven verkleidet waren, ein erst kürzlich aus Neuspanien zurückgekehrtes Schiff und machte sich mit einer größeren Menge Silber davon. Ich bin mir

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