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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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kann ein sächsischer Baron in Lyon ausüben? Doch Lothars bizarres Selbstbewusstsein hat meine Nerven erschüttert.
    Erst später, während meiner dritten Verhandlungsrunde mit besagtem genuesischen Bankier, begann ich eine Ahnung davon zu bekommen, was für Beweggründe Lothar hatte und woher er so viel wusste. Dieser Bankier verdrehte – nach einer längeren Diskussion über die Vor- und Nachteile von Silber und Gold – die Augen und machte eine abfällige Bemerkung über Alchimisten.
    Lothar wiederum hatte sich während jenes schrecklichen Diners mehr als einmal wegwerfend über den Herzog geäußert, des Sinnes, dass dieser »gar nicht wisse, in was er da hineingestolpert sei«.
    Auf der zugegebenermaßen dünnen Basis dieser beiden Bemerkungen
habe ich die – ungefähre – Hypothese entwickelt, dass das vor Sanlúcar de Barrameda geplünderte Schiff etwas enthielt, was für diejenigen, die auf die Alchimie setzen – und dazu rechne ich mittlerweile auch Lothar -, von großer Bedeutung ist. Wie es scheint, hat Monsieur le Duc d’Arcachon diese Ladung in Zusammenarbeit mit seinen türkischen Freunden gestohlen – aber vielleicht begreifen sie gar nicht, worin sie besteht. Nun sind sämtliche Alchimisten deswegen in Harnisch. Das würde erklären, wie es kam, dass Lothar über die Vorgänge in Versailles und Paris so gut informiert ist, denn an beiden Orten finden sich zahlreiche Angehörige der Esoterischen Bruderschaft, und vielleicht bekommt Lothar regelmäßig Depeschen von ihnen.
    Ich habe Euch, Doktor, neben Lothar auf dem Balkon des Hauses zum Goldenen Merkur in Leipzig stehen sehen. Und es ist wohlbekannt, dass Lothar der Bankier von Sophie und Ernst August, Euren Gönnern, ist. Was könnt Ihr mir von diesem Mann und seinen Beweggründen sagen? Denn die meisten Alchimisten sind Schwachköpfe und Dilettanten; doch wenn meine Hypothese zutrifft, nimmt er das Ganze ernst.
    Das ist vorderhand alles. Angehörige dieses Haushaltes stehen vor der Tür dieser Kammer in Sechserreihe Schlange und warten darauf, dass ich zum Ende komme, damit sie mich bedrängen können, diese oder jene Entscheidung hinsichtlich der am vierzehnten geplanten Gesellschaft zu treffen. Bis dahin werde ich ungeheuer beschäftigt sein. Ihr werdet erst wieder von mir hören, wenn alles vorbei ist, und dann wird alles anders sein; denn an jenem Abend ist mit vielen dramatischen Entscheidungen zu rechnen. Wenn Ihr dies lest, wünscht mir Glück.
    Eliza

Leibniz an Eliza
    ANFANG OKTOBER 1690
    Mademoiselle,
    Bitte nehmt meine Entschuldigung im Namen aller deutscher Barone an.
    Ich habe Euch bereits die Geschichte erzählt, wie ich mit fünf Jahren, nach dem Tode meines Vaters, in dessen Bibliothek ging und mich zu bilden begann. Das beunruhigte meine Lehrer an der Nikolaischule, die meine Mutter dazu bewogen, mir den Zugang zu verwehren. Ein einheimischer Adeliger bekam davon Kenntnis, stattete meiner Mutter einen Besuch ab und machte ihr auf die denkbar höflichste Weise, doch mit äußerster Ernsthaftigkeit und Festigkeit klar, dass die Lehrer in diesem Falle Narren seien. Sie schloss die Bibliothek wieder auf.
    Jener Adelige war Egon von Hacklheber. Das muss im Jahre 1651 oder 1652 gewesen sein – das Gedächtnis lässt nach. Ich habe ihn als silberhaarigen Herrn in Erinnerung, als eine Art lang vermissten, wandernden Onkel jener Familie, der den größten Teil seines Lebens in Böhmen verbracht hatte, jedoch um 1630 in Leipzig aufgetaucht war – dorthin verschlagen, so vermutet man, von den Geschicken dessen, was wir mittlerweile den Dreißigjährigen Krieg nennen, was damals jedoch bloß wie eine endund sinnlose Abfolge von Gräueln anmutete.
    Lothar wurde 1630 als dritter Sohn jener Familie geboren. Keiner der Jungen ist zur Schule gegangen. Sie sind zu Hause großgezogen und von Hauslehrern unterrichtet worden – einige davon eigens angestellt, andere schlicht Familienangehörige, die Wissen besaßen und bereit waren, es weiterzugeben. Egon von Hacklheber, ein weitgereister Mann von außerordentlicher Gelehrsamkeit, hat täglich ein, zwei Stunden daran gewendet, die drei von Hacklheber’schen Jungen zu unterrichten. Lothar war sein klügster Schüler; denn als Jüngster musste er sich am meisten anstrengen, um mit seinen Brüdern Schritt zu halten.
    Wenn Ihr mitgerechnet habt, werdet Ihr wissen, dass Lothar
Anfang zwanzig war, als Egon seine fatale Reise antrat. Damals waren finstere Zeiten über die Familie gekommen, denn die

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