Confusion
er eine Palette von Briefen, Büchern und Notizen ausgebreitet hatte. Viele wiesen armenische Schrift auf.
»Ich hatte Euch ja schon erzählt, dass das Cabinet Noir einen bemerkenswerten Brief abgefangen hatte, der in der ersten Augustwoche in Sanlúcar de Barrameda aufgegeben worden und an die Familie Esphahnian gerichtet war, von der es hieß, sie wohnten in der Bastille.«
»Den Familiennamen hattet Ihr mir nicht genannt«, sagte Eliza, »aber das spielt kaum eine Rolle, zumal es sich ohnehin so gut wie sicher um einen angenommenen Namen handelt...«
»Warum sagt Ihr das?«, fragte de Gex.
»Esphahnian bedeutet schlicht ›aus Esfahan‹, und das ist eine Stadt, in der sehr viele Armenier leben«, erklärte Eliza. »Das ist genauso, als würdet Ihr unter Türken leben und sie würden Euch ›Édouard den Franken‹ nennen.«
Rossignol nickte. »Ich stimme Euch darin zu, dass es wahrscheinlich nicht der richtige Name der Familie ist, aber in Ermangelung eines anderen werden wir ihn benutzen. Jedenfalls habe ich Nachforschungen angestellt und erfahren, dass in der Tat im Jahre 1685 einige Armenier in die Bastille gesteckt und dort etwa ein Jahr festgehalten wurden: eine Mutter mit einer großen Brut von Söhnen. Einer von ihnen ist dort gestorben. Die Matriarchin wurde als Erste entlassen, dann die Brüder. Einige kamen in Schuldgefängnisse.
Es kostete mich einige Zeit, sie alle aufzuspüren, denn mittlerweile sind noch mehr von ihnen gestorben, und es war schwierig festzustellen, wer der älteste von den Brüdern ist. Ich habe ihn – Artan Esphahnian – in einem heruntergekommenen entresol nicht weit von hier gefunden und dafür gesorgt, dass ihm der Brief aus Sanlúcar zugestellt wird.
Ein paar Tage später gab Artan einen Brief auf, der an einen gewissen Vrej Esphahnian in Kairo adressiert war. Ich ließ eine exakte Kopie
davon anfertigen und schickte ihn dann weiter. Damals hatte ich keine spezielle Meinung dazu, wer dieser Vrej sein könnte – wie Ihr, Mademoiselle, vermutete ich, dass es sich bei dem Namen um eine bedeutungslose List oder vielleicht sogar einen Hinweis auf verborgene Informationen handelte, was, wenn es stimmt, bedeuten könnte, dass Vrej nicht einmal mit Artan verwandt ist.
Bis gestern geschah nichts weiter: Dann aber kam ein in Rosetta an der Nilmündung aufgegebener und an Artan adressierter Brief, der dieselbe Handschrift trägt wie der aus Sanlúcar de Barrameda. Das war nun wirklich bemerkenswert, denn ich hatte den Brief aus Sanlúcar ins Französische übersetzt, und es stand nichts über Ägypten darin. Er war voller Familientratsch. Der Verfasser – in dem ich mittlerweile Vrej Esphahnian vermute – hatte lange Zeit keinen Kontakt zu Artan gehabt. Er hatte absolut nichts darüber gesagt, was er in Sanlúcar tat oder wo er als Nächstes hinging. Und dennoch hatte Artan nach Erhalt des Dokuments irgendwie gewusst, dass er seine Antwort an Vrej nach Kairo schicken musste. Nicht lange danach war dieser Vrej in Rosetta – das auf dem Weg nach Kairo liegt – aufgetaucht und lange genug dort geblieben, um einen weiteren Brief mit banalem Klatsch abzusenden.«
»Und deshalb lag es für Euch auf der Hand, dass diese Briefe verschlüsselte Botschaften enthielten«, fuhr Eliza fort; denn sie hatte genug Zeit damit verbracht, dem Diskurs von Naturphilosophen zuzuhören, um zu erkennen, wenn einer von ihnen dabei war, eine Hypothese zu entwickeln. »Das verstehe ich durchaus, und ich beglückwünsche Euch zu Eurer Tüchtigkeit. Aber warum haltet Ihr es für so wichtig, mir davon zu erzählen?«
Rossignol war nicht gesonnen, sich an einer Antwort zu versuchen, und sah de Gex an. Daraus schloss Eliza, dass es sich um eine delikate Angelegenheit handeln müsse; denn als Lieblingskirchenmann der de Maintenon durfte sich de Gex auf eine Weise freimütig äußern, die an einem Ort, wo Beleidigungen gemeinhin mit Rapierstößen beantwortet wurden, ungewöhnlich war. »Wir, die wir die Familie de Lavardac lieben und bewundern«, sagte er, »sind in schrecklicher Sorge darüber, dass Monsieur le Duc d’Arcachon, obgleich er aus den edelsten Beweggründen heraus handelte und großartige Findigkeit und Willensstärke an den Tag legte, einen Fehler gemacht hat. Wir würden ihm dabei helfen, seinen Irrtum zu berichtigen, ehe er ihn in Verlegenheit bringt. Am besten wäre es, ihn noch heute Abend zu berichtigen,
um etwaigen Weiterungen vorzubeugen. Die Angelegenheit Madame la Duchesse
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