Confusion
bezahlen – anlangte, hatten sie, in ihrer Verwirrung um ein Gefühl der Zusammengehörigkeit bemüht, alle begonnen, einander anzusehen. Doch ehe jemand seiner Verblüffung Ausdruck verleihen konnte, war Eliza mit ungekünsteltem, untypischem Eifer für ihre Rolle als Unterhalterin des gelangweilten Adels von Frankreich aufgesprungen und hatte begonnen, ein neues Gesellschaftsspiel zu organisieren. »Wir werden ein kleines Maskenspiel veranstalten«, verkündete sie. »Und Ihr alle müsst sitzen, sitzen, sitzen!« Und sie befahl einem Diener, Federkiele, Tinte und Papier zu bringen.
»Aber Eliza, wie können Herren in Gegenwart einer Dame sitzen, wenn sie steht?«, fragte Étienne.
»Die Antwort ist einfach: In dem Maskenspiel bin ich keine Dame, sondern ein Gott: Merkur, der Bote des Olymp und Schutzgottheit des Handels. Ihr müsst euch Flügel an meinen Knöcheln vorstellen.«
Die bloße Erwähnung von Knöcheln sorgte bei Étienne für ein scharfes Luftholen, und ein paar Blicke huschten nervös in seine Richtung. Doch Eliza ließ sich nicht beirren: »Ihr, Monsieur de Pontchartrain, müsst sitzen. Ihr seid der Geldbringer: der contrôleur-général von Frankreich.«
»Diese Rolle müsste für mich einfach zu spielen sein, Merkur«, sagte der contrôleur-général und setzte sich mit einer leichten Verbeugung vor Eliza.
Nun – da der Ranghöchste im Saal es getan hatte – wollten auch alle anderen unbedingt mitmachen.
»Zuerst stellen wir den einfachen Wechsel dar«, sagte Eliza, »was nur vier Leute plus Merkur erfordert. Später werden wir auch für euch andere Rollen finden.« Denn von den anderen Tischen waren mehrere Gäste näher getreten, um festzustellen, was es mit der Unruhe auf sich hatte. »Dieser Tisch hier ist Lyon.«
»Aber Merkur, schon jetzt kann ich meinen Zweifel nicht unterdrücken, denn der contrôleur-général geht nicht nach Lyon.«
»Dem werden wir in Kürze abhelfen, doch vorderhand seid Ihr in Lyon. Euch gegenübersitzen wird Étienne, der die Rolle von Lothar dem Bankier spielt.«
»Warum muss ich so einen albernen Namen haben?«, verlangte Étienne zu wissen.
»Unter Bankiers hat der Name einen ausgezeichneten Klang – Lothar ist Ditta di Borsa in Lyon, Brügge und vielen anderen Städten.«
»Das heißt, er hat bei anderen Bankiers uneingeschränkt Kredit«, sagte Pontchartrain.
»Na schön. Solange der Mensch in so gutem Ruf steht, wie Ihr sagt, werde ich die Rolle akzeptieren«, sagte Étienne und setzte sich Pontchartrain gegenüber.
»Ihr habt Geld«, sagte Eliza und schob mit einer Hand einen Stapel Münzen über den Tisch, sodass sie als kleines Häuflein vor Pontchartrain zu liegen kamen. »Und Ihr wollt es dorthin schaffen!« Sie schritt durch die zweiflügelige Tür in den Grand Salon, wo ein Backgammon-Spiel zu Ende gegangen war. »Madame de Bearsul, Ihr seid ein Handelsbankier in London – dieser Tisch ist London.«
Madame de Bearsul näherte sich London unter affektiertem Katzbuckeln, Erröten und Händeringen, sodass Eliza große Lust bekam, ihr eine Ohrfeige zu versetzen. »Aber Madame, von derlei Berufen weiß ich nichts!«
»Natürlich nicht, da Ihr so vornehmer Herkunft seid; aber so wie ein König in einem Maskenspiel einen Landstreicher geben kann, so seid Ihr nun ein Handelsbankier namens Signore Punchinello. Hier, Signore Punchinello, ist Eure Schatulle.« Merkur klappte das Backgammonbrett zu, sodass die Spielsteine darin eingeschlossen waren, und reichte es der de Bearsul, die sich unter ausgiebigem Haareandrücken und Rockglattstreichen in London niederließ. Monsieur le Chevalier d’Erquy schob ihr den Stuhl zurecht, da er Elizas nächste Anweisung vorausgeahnt hatte und den Frauen in den Grand Salon gefolgt war.
»Monsieur, Ihr seid Pierre Dubois, ein Franzose in London.«
»Bejammernswertes Schicksal! Muss das sein?«, beklagte sich d’Erquy zur allgemeinen Belustigung.
»Es muss. Aber Ihr müsst Euch noch nicht setzen, weil Ihr noch nicht die Bekanntschaft von Signore Punchinello gemacht habt. Stattdessen irrt Ihr durch die Stadt wie eine verlorene Seele auf der Suche nach einem anständigen Stück Brot. Alsdann! Alles auf die Plätze!«, und damit ging sie zurück in den Petit Salon, wo der Lyon-Tisch inzwischen mit Federkielen, Tinte und Papier versehen worden war.
»Monsieur le contrôleur-général, gebt Euer Silber – das heißt, Frankreichs Silber – Lothar dem Bankier.«
» Monsieur, s’il vous plaît«, sagte
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