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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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wurde der Tag von Adelaide, die noch nicht sprechen konnte, aber furchtbar gern winkte und sich zuwinken ließ. In dieser leeren Landschaft hätte nichts stärker dazu angetan sein können, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, als die Erscheinung zweier Frauen in hellen Kleidern, die winkten und winkten und winkten, und binnen kurzem winkte sie nicht nur zurück, sondern musste, um nicht in einen nassen Tod zu stolpern, eingefangen und festgehalten werden, während sie immer wieder beide Ärmchen den Winkenden entgegenwarf. So kam es, dass ein der Sprache noch nicht mächtiges, vierzehn Monate altes Mädchen eine schlichte Wahrheit erkennen konnte, die Eliza entgangen war: dass sie ans Ende ihrer Reise gelangt und bei Freunden willkommen waren. Eliza gab dem Bootsführer entsprechende Anweisungen. Er manövrierte die Zille an die Überreste des Landestegs. Eliza stemmte sich von dem Stuhl hoch, von dem aus sie Deutschland hatte vorüberziehen sehen, wischte sich den Schweiß von der Stirn und wagte das Experiment festzustellen, ob der Steg einen dritten Menschen zu tragen vermochte.
    Eleonore war in die Breite gegangen, ihre Schultern hingen, sie hatte Zähne verloren, sich die Haare kurz geschnitten und den Versuch aufgegeben, ihre alten Pockennarben unter schwarzen Schönheitspflästerchen zu verbergen, wie es in Den Haag ihre Gewohnheit gewesen war. Sie wusste sehr wohl, dass ihr Aussehen sich verschlechtert hatte, denn sie wich Elizas Blick aus und drehte immer wieder den Kopf zur Seite. Was sie nicht verstand, war, dass die Freude in ihrem Gesicht alles andere wettmachte; außerdem war Eliza, die sich so abgespannt fühlte, wie Eleonore aussah, nicht geneigt, sie unfreundlich zu beurteilen. Eleonore war einen halben Schritt zurückgetreten und ließ ihrer Tochter den Vortritt. Caroline war eine Pracht. Nach den in Versailles gültigen Maßstäben war sie nicht außergewöhnlich schön; sie war jedoch anmutiger als neun von zehn Prinzessinnen. Sie hatte etwas Sprühendes, das sie selbst dann, wenn sie hässlich gewesen wäre, in die Lage versetzt hätte, hübsche Menschen zu überstrahlen, und sie besaß eine Selbstbeherrschung, die sie sehenswerter machte als alles, worauf Eliza seit ihrer unheimlichen Audienz bei Isaac Newton die Augen gerichtet hatte. Eleonore umarmte Eliza eine geschlagene Minute lang; im gleichen Zeitraum
begrüßte Caroline sämtliche Leute auf der Zille, stellte dem Bootsführer drei Bootsfragen, drückte Adelaide einen Strauß Wildblumen in die Hand, setzte sich die Kleine auf die Hüfte, sagte ihr, sie solle aufhören, die Blumen zu essen, stakste über den von Kratern durchlöcherten, schwankenden Landesteg ans Ufer, brachte Adelaide das deutsche Wort »Fluss« bei, sagte ihr zum zweiten Mal, sie solle aufhören, die Blumen zu essen, zog ihr die Blumen aus der knubbeligen Faust, bekam einen heftigen Streit mit ihr, legte ihn bei und brachte die Kleine zum Kichern. Nun war sie bereit, zum Haus zurückzukehren und mit ihrer Tante Eliza Schach zu spielen; warum dauerte das so lange?

Pontchartrain an Eliza
    APRIL 1694
    Madame,
    Ihr habt mir strikten Befehl erteilt, nicht dankbar zu sein. Ich werde mich hüten, diesen Befehl zu missachten. Aber Ihr könnt mir nicht verbieten, mildtätige Regungen zu hegen. Von dem Gewinn, den ich aus der Transaktion ziehen werde, die Ihr so klug ersonnen habt und die Eure und meine Anwälte soeben abgeschlossen haben, werde ich (nachdem ich Euch Eure fünf Prozent bezahlt habe) ein Viertel für mildtätige Zwecke spenden. Leider sind, seit ich Geld zum Spenden hatte, so viele Jahre vergangen, dass ich den Überblick darüber verloren habe, wo die verdienstvollen Stiftungen zu finden sind. Wärt Ihr so freundlich, Empfehlungen zu geben?
    Euer undankbarer
    Pontchartrain

Eliza an Pontchartrain
    MAI 1694
    Mein undankbarer (aber mildtätiger) Graf,
    Euer Brief hat mich lächeln gemacht. Die Aussicht, mit Euch über mildtätige Stiftungen zu sprechen, liefert mir einen weiteren Grund, nach Versailles zurückzueilen, sobald meine Geschäfte in Leipzig abgeschlossen sind. Aber vergesst nicht, dass die Staatsobligationen, die ich Euch verkauft habe, wertlos sind, bis der contrôleur-général sie verlässlichen, bare Münze erbringenden Einkommensquellen zugewiesen hat. Da es in Frankreich oder gar England kein Geld gibt, muss es aus anderen Quellen beschafft werden. Schiffe befahren die Meere und befördern Gegenstände von materiellem Wert, und das Recht der Völker

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