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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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hervorragend zusammen, denn obwohl es keinerlei sichtbare oder anekdotische Beweise dafür gab, dass sie als Mädchen einen Schlag auf den Kopf bekommen hatte, hätte das durchaus der Fall sein können; trotz ausgedehnter und teurer Bemühungen ihrer Familie, ihr eine Erziehung angedeihen zu lassen, konnte sie weder lesen noch schreiben. Und dennoch war sie ein ebenso vollkommenes und begehrenswertes Exemplar weiblicher Schönheit, wie Johann Georg eines der männlichen war. Die Verbindung war auf ihre Weise plausibel. Es fehlte zwar deutlich an Hirnsubstanz, aber (a) die Ärzte von Sachsen waren sich darin einig, dass der Schwachsinn des Kurfürsten und des Fräuleins von Neitschütz nicht zu der Sorte gehörte, die an Kinder vererbt wird; das heißt ihr Nachwuchs könnte durchaus bei gesundem Verstand
sein, vorausgesetzt, er bekäme keinen Schlag auf den Kopf, und (b) die Mutter der Gräfin galt als kluge Frau. Zu klug; denn sie stand im Sold des österreichischen Hofs und tat, was sie konnte, um Sachsen zu einem Lehen dieses Reiches zu machen. Das Fräulein von Neitschütz war seit einigen Jahren, wenn auch nicht dem Namen nach, Johann Georgs Frau, und er hatte ihr ein Vermögen und ein Schloss samt dazugehörigem Hof geschenkt. Doch sie besaß nicht den Rang, um einen Kurfürsten zu heiraten, insistierten die alten Schlauköpfe des sächsischen Hofes, die ausnahmslos österreichfeindlich und brandenburgfreundlich waren. Was Eleonore von ihrer fernen und unvollkommenen Warte in Berlin aus gesehen und gehört hatte, waren nur die schwachen Geräusche eines Titanenkampfes gewesen, der seit mehreren Jahren zwischen den brandenburgfreundlichen Ministern Sachsens und der österreichfreundlichen Von-Neitschütz-Fraktion in Dresden tobte. Dass Johann Georg nach Brandenburg gekommen war und um ihre Hand angehalten hatte, bewies lediglich, dass diese Minister ein paar Monate lang die Oberhand gewonnen hatten. Dass ihr Verlobter nun beschlossen hatte, sie am Vorabend der Hochzeit mit malerisch um ihn drapierter Mätresse zu empfangen, die ihrerseits mit Schmuck drapiert war, der von Rechts wegen ein Geschenk für Eleonore hätte sein müssen, zeigte, dass der Kampf sich in letzter Zeit gedreht hatte. Ein anderer Fürst hätte die Mätresse unter diesen Umständen in ihrem Schloss versteckt gehalten. Die Realität wäre keine andere gewesen, aber sie wäre gefälliger präsentiert worden. Aber Johann Georg war ein MDAJESADKBH und machte nichts so wie andere Männer. Während Kurfürst Friedrich von Brandenburg entgeistert und die von Neitschütz mit offensichtlichem Vergnügen zusah, brüskierte Johann Georg Eleonore in aller Offenheit. Und dennoch war er offenbar in der festen Absicht nach Leipzig gekommen, die Hochzeit durchzuführen!
    Friedrich agierte mittlerweile in einer dem Brautvater vergleichbaren Rolle – allerdings in Verbindung mit der eines Staatsoberhaupts, das eine Allianz mit einem anderen aushandelt, sowie der eines Arztes, der sich um einen Dorftrottel kümmert. Die Zusammenkunft wurde abgebrochen. Auf der Brandenburger Seite waren die meisten viel zu verblüfft, um wütend zu sein.
    Sie heiratete ihn. Eleonore Erdmuthe Louise heiratete Kurfürst Johann Georg IV. von Sachsen, wenn auch ein paar Tage später als geplant, da alles in letzter Minute umorganisiert werden musste. Das
Paar zog nach Dresden. Der Kurfürst erwirkte beim Kaiser die Erhebung von Magdalene Sibylle zur Gräfin von Rochlitz und behielt sie in seiner Nähe. In den Straßen von Dresden begannen Flugschriften zu zirkulieren, in denen argumentiert wurde, die Bigamie sei, da von zahlreichen biblischen Königen praktiziert, nichts Schlimmes und solle in Sachsen wiederbelebt werden. Ungefähr zur gleichen Zeit gelobte der Kurfürst öffentlich, die Gräfin von Rochlitz zu heiraten – und dies, obwohl er gleichzeitig noch mit Eleonore verheiratet war. Die braven Lutheraner von Sachsen sträubten sich gegen den Gedanken, die Bigamie zum Landesgesetz zu machen, und sogar Johann Georgs beschränkter Verstand begriff schließlich, dass er niemals mit zwei Frauen gleichzeitig verheiratet sein konnte.
    Nicht lange danach nahmen Versuche, Eleonores Essen zu vergiften, ihren Anfang. An anderen Höfen – etwa an einem Hof, an dem sie mehr Feinde hatte und diese Feinde nicht allesamt Schwachköpfe waren – wäre sie vielleicht ein leichtes Opfer gewesen. Aber das Vergiften war selbst für Menschen, die niemals einen Schlag auf den Kopf bekommen

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