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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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suchen – die anscheinend fanden, dass der einzige Sinn des Reisens darin bestand, durch die Gegend zu wandern und sich alles und jedes anzuschauen. Kurz nachdem sie alle den Königlichen Palast in Bhalupoor (Jacks Sommerhauptstadt) verlassen hatten, waren der
Banyan und der Alchimist bereits ins Gespräch vertieft gewesen. Nicht lange danach hatten sie offensichtlich jedes Interesse an dem ständigen Geplänkel der Shaftoes verloren, und in den letzten paar Minuten waren sie vollends aus der Karawane herausgefallen. Ein Gefolge aus Ersatz-Palankinträgern, Leibwächtern, Adjutanten und anderen Wallahs war mit ihnen gekommen und streckte sich, während der Abstand zwischen Jacks und Enochs Gruppe immer größer wurde, mehr und mehr in die Länge, um wenigstens irgendeine Art von Kontakt zu halten; Jack konnte kaum den nächsten Mann sehen, und es blieb zu hoffen, dass der den nächsten im Blick hatte. Die Gefahr bestand weder darin, dass sie sich verirrten (kannte Surendranath den Weg doch besser als Jack), noch in wilden Tieren (Jimmy und Danny zufolge konnte Enoch gut für sich selbst sorgen), sondern in Überfallkommandos von Räubern, Banditen und Marathen. Die heutige Reise führte sie entlang dem südlichen Rand der metaphorischen Schale, und sie waren an keinem Punkt mehr als ein paar Meilen von irgendeinem marathischen Fort oder Außenposten entfernt.
    Jack bemerkte leicht verwundert, dass Jimmy und Danny ihm tatsächlich zuhörten.
    »Oh, ja. Gerade weil der Großmogul seine Königtümer in einem strengen Dreijahresrhythmus vergibt, muss jeder König vom ersten Tag seiner Regentschaft an seine ganze Energie darauf verwenden, sich auf den Tag vorzubereiten, an dem er kein König mehr ist. Hier könnte ich euch stundenlang in die Details einführen, und wer sich für Geschichten über orientalische Dekadenz begeistert, hätte seine helle Freude. Ich will es aber folgendermaßen zusammenfassen: Es gibt zwei Arten König zu sein. Die eine besteht darin, in Shahjahanabad zu bleiben und in der Hoffnung, am Ende der drei Jahre vom Großmogul mit einer weiteren Regentschaft belohnt zu werden, gegen alle anderen dort zu intrigieren und zu kämpfen.«
    »Die zweite kann ich mir vorstellen«, sagte Danny. »Meide Shahjahanabad, als wäre es eine Peststadt. Lass dich in deinem Jagir nieder und versuch, es nach Kräften auszusaugen, damit du am Ende mit einem Haufen Geld rauskommst...«
    »So wie ein englischer Lord in Irland«, fügte Jimmy hinzu.
    Jack stieß einen tiefen Seufzer aus, schniefte einmal kurz und wischte sich eine Träne aus dem Auge. »Meine Söhne, ihr macht mir alle Ehre.«
    »Das ist also der Kurs, den du steuerst, Dad?«

    »Nicht ganz. Dieses Jagir auszusaugen wäre so, als wollte man aus getrocknetem Rindfleisch Blut gewinnen. Meine illustren Vorgänger haben es bereits jahrtausendelang ausgesaugt. Im Grunde ist es ein einziger großer Saugapparat – es gibt einen Zamindar oder Obersten Steuereinnehmer, der das Aussaugen im Namen dessen vornimmt, der gerade König ist.«
    »Das ist dann wohl der Kaffer in dem Palankin...«
    »Surendranath ist mein Zamindar . Seine Beamten treiben sich auf den Märkten in meinen zwei Städten herum – in Bhalupoor im Hügelland, wo wir übernachtet haben, und in Dalicot an der Küste, wohin wir jetzt gehen. Das sind nämlich die Orte, an denen die Erzeugnisse der Erde und des Meeres gegen Silber eingetauscht werden. Und da ich meine Steuern an den Großmogul in Silber zahlen muss, ist das der einzige Ort, wo ich es auch einnehmen kann. Der Steuersatz ist festgelegt. Da ändert sich nie etwas. Das Jagir wirft ein gewisses mageres Einkommen ab, und es gibt keine Möglichkeit, es zu erhöhen.«
    »Aber was hast du dann all diese Jahre gemacht, Dad?«, fragte Jimmy.
    »Mein erster Schritt war der, ein paar Kriege gegen die Marathen zu verlieren – oder sie zumindest nicht zu gewinnen.«
    »Wieso? Du weißt, wie man Phosphor herstellt. Du hättest diesen Marathen eine Heidenangst einjagen und sie ins Meer treiben können.«
    »Das waren taktische Niederlagen, Dannyboy. Die anderen Omerahs – ich meine die Intriganten in Shahjahanabad – hatten von diesem Phosphor reden hören. Es lag in ihrer Natur, mich als gefährlichen Rivalen zu sehen. Wenn ich losgelegt und angefangen hätte, Kriege zu gewinnen, hätten sie mir auf jeden Fall Mörder auf den Hals geschickt. Dabei habe ich ja mit französischen, spanischen, deutschen und osmanischen Mördern schon alle Hände

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