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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Brennvorgang benötigt würden. Doch schließlich wandte Enoch Root sich davon ab. »Um die Konstruktion dieses Schmiedeofens ranken sich Geheimnisse, die nie im Theatrum Chemicum veröffentlicht wurden«, sagte er. »Höchstwahrscheinlich sind es vergessene Geheimnisse, sonst hätten diese Leute mehr davon gebaut.«
    Sie gingen weiter zu einem Stapel von Schmelztiegeln, die aus dem Ofen herausgeholt worden waren und nun abkühlen durften. Ein Junge nahm nacheinander jeweils einen davon, warf ihn, da er zum Festhalten immer noch zu heiß war, von einer Hand in die andere und schleuderte ihn gegen einen flachen Stein, um den tönernen Schmelztiegel zu zertrümmern. Was zwischen diesen rauchenden Tonscherben übrig blieb, war eine Halbkugel aus schwammigem, grauem Metall. »Das Ei!«, rief Enoch.
    Ein Schmied nahm mit einer Zange jedes Ei einzeln auf, legte es auf einen Amboss, schlug ein Mal mit einem Hammer darauf und unterzog es dann einer sorgfältigen Prüfung. Eier, die sich einbeulten, wurden auf einen Abfallhaufen geworfen. Manche waren so hart, dass der Hammer keine Spur darauf hinterließ – diese wurden in eine Tragmulde gelegt und schließlich quer über das Gelände zu einer anderen Grube gebracht, wo nach irgendeinem geheimen Rezept mithilfe der stampfenden Füße von Hindujungen eine völlig andere Art von Lehm gemischt wurde; währenddessen umkreiste einer der Dorfältesten die Grube, spähte immer wieder hinein und warf gelegentlich händeweise geheimnisvolle Pulver in die Mischung. Die Metalleier wurden mit dicken Schichten dieses Lehms umhüllt und dann zum Trocknen beiseite gelegt. Der erste Lehm war in feuchtem Zustand rot und in gebranntem gelb gewesen, aber dieses Zeug war grau, so als besäße der Lehm selbst bereits einen Metallanteil.
    War der graue Lehm um die Eier getrocknet, wurden diese zu einem anderen Ofen gebracht, wo sie erhitzt wurden – aber nur bis zu einer schwachen Rotglut. Der Unterschied wurde Jack erst klar, als die
Sonne unterging und er zwischen den beiden Öfen stehen und die Glut im einen mit der Glut im anderen vergleichen konnte. Wieder zog der Brennvorgang sich lange hin. Wieder ließ man die Eier, die dann herauskamen, über einen Zeitraum von Tagen langsam abkühlen. Wieder wurden sie der Prüfung auf dem Amboss unterzogen – diesmal mit anderen Ergebnissen. Denn irgendetwas an diesem zweiten Brennvorgang ließ die Eier widerstandsfähiger werden. Die meisten von ihnen waren jedoch nach einem einzigen Brennvorgang in dem grauen Lehm noch nicht weich genug zum Schmieden und mussten immer wieder in den Ofen. In jeder Fuhre gab es aber ein paar Eier, die genau richtig auf die Hammerschläge reagierten und beiseite gelegt wurden. Wo sie jedoch nicht lange liegen blieben, denn Perser und Armenier kauften sie auf, kaum dass sie den Boden berührt hatten.
    Enoch ging hinüber und nahm eines davon in die Hand. »Das hier nennt man wootz «, sagte er. »Das Wort stammt aus dem Persischen. Perser kommen schon seit Jahrtausenden hierher, um es zu kaufen.«
    »Warum machen die Perser es nicht selbst? Sie scheinen ja hier freien Zutritt zu haben und müssten mittlerweile wissen, wie es geht.«
    »Schon vor Darius’ Zeit haben sie versucht, wootz zu machen, und sind gescheitert. Sie können ein ähnliches Produkt herstellen – Eure Söhne und ich haben einen Umweg zu einer ihrer Schmieden gemacht -, aber das hier scheinen sie nicht hinzukriegen.«
    Enoch hielt das Wootz -Ei hoch, so dass der Feuerschein es streifte und seine Struktur hervorhob. Zuerst fand Jack, dass es aussah wie der Mond, denn Farbe und Form waren dieselben, und die zerklüftete Oberfläche war pockenartig mit Kratern übersät, in denen sich vermutlich Blasen gebildet hatten. Bei näherem Hinsehen entpuppten die Krater sich jedoch als weniger zahlreich und weit auseinanderliegend. Die Oberfläche des Eis war zum größten Teil mit einem Netz aus feinen, kreuzweise schraffierten Graten überzogen, so als wäre ein grob geflochtenes Netz – ein Drahtgeflecht – in die Masse hineingearbeitet worden und versuchte nun, aus der Oberfläche herauszubrechen. Aber Jack hatte ja mit eigenen Augen gesehen, wie die Schmelztiegel vorbereitet wurden, und wusste, dass nichts anderes als schwarzer Sand, Holzkohlestückchen und magische Blätter hineingekommen war. Er drückte eine Fingerspitze auf die Grate eines vorstehenden Gitterwerks; sie waren hart wie Stein und scharf wie eine Schwertklinge.
    »Diese Netze wachsen

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