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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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in dem Schmelztiegel wie Pflanzen aus Samen.
Und sie befinden sich nicht nur an der Oberfläche, sondern durchziehen das ganze Ei und sind alle miteinander verwoben – sie halten den Stahl zusammen und verleihen ihm eine Festigkeit, die von nichts übertroffen wird.«
    »Wenn dieses wootz so außergewöhnlich ist, warum habe ich dann noch nie was davon gehört?«
    »Weil die Europäer einen anderen Namen dafür haben.« Enoch hob den Blick, angezogen durch ein klingendes Geräusch in der Ferne: Ein Schmied war dabei, irgendetwas zu bearbeiten. Es war aber nicht der dumpfe Klang eines einfachen Eisenklumpens. Da wurde weder ein Hufeisen noch ein Schürhaken geschmiedet. Das Geräusch hatte einen edlen, durchdringenden Klang, der Jack daran erinnerte, wie Jeronimo im Khan el-Khalili sein Rapier schwang.
    Die Schmiede war etwa fünf Minuten Fußweg entfernt, und als sie dort ankamen, stießen sie auf eine Menschenmenge aus osmanischen Türken und anderen Reisenden, die hierhergekommen waren, um diesem Hindu-Schwertschmied bei der Arbeit zuzusehen. Mithilfe einer Zange packte er eine Krummsäbelklinge am Dorn, drehte sie auf dem Amboss mal auf die eine, mal auf die andere Seite und versetzte ihr hin und wieder einen Schlag mit einem Hammer. Das Metall glühte schwach rot.
    »Es ist nicht heiß genug zum Schmieden«, murmelte Jack. »Es muss mindestens ein helles Kirschrot sein.«
    »Sobald es in einem hellen Kirschrot glüht, löst sich das Flechtwerk wie Zucker im Kaffee auf und das Metall wird brüchig und wertlos – wie wir Europäer während der Kreuzzüge feststellen mussten, als wir Teile solcher Waffen rund um Damaskus erbeuteten und, wieder zurück in der Heimat, versuchten, deren Geheimnis in unseren eigenen Schmieden zu lüften. Dabei wurden außer der Tiefe unseres Unwissens keinerlei Erkenntnisse gewonnen – seitdem heißt dieses Zeug bei uns jedoch Damaskus- Stahl.«
    »Damaskus-Stahl kommt von hier?!«, fragte Jack und drängelte sich näher zu dem Amboss.
    »Ja – das Netzwerk, das Ihr in dem Wootz -Ei gesehen habt, verursacht, wenn es geduldig und bei niedriger Temperatur ausgehämmert wird, Strudel bildende, gleichsam flüssige Muster, auch bekannt als...«
    »Damaszenerstahl!«, rief Jack aus. Er war jetzt nah genug, um prachtvolle Wellen und Wirbel in der rotglühenden Klinge zu sehen. Ohne nachzudenken, griff er nach dem Heft seines Janitscharenschwerts und
begann schon, es zum Vergleich aus der Scheide zu ziehen. Doch Enochs Hand landete auf seinem Unterarm, um ihn daran zu hindern. Im selben Augenblick füllte die Schmiede sich mit einem Sturm von wischenden, kratzenden, klingenden und zischenden Geräuschen. Jack blickte auf in einen dichten, funkelnden Wald gezogener Klingen: Dolche aus Damaszenerstahl mit Wellenmuster, Krummsäbel und Talwars aus Damaszenerstahl, Khyber-Schwerter und die als Kitar bekannten kompakten Faustmesser. Auf manchen Klingen glänzten Koranzitate als goldene Einlegearbeit, auf anderen hinduistische Göttinnen.
    Jack räusperte sich und ließ sein Schwert los.
    »Dieser Herr mit dem Hammer und der Zange genießt unter Kennern von Klingenwaffen weltweit ein ausgesprochen hohes Ansehen«, sagte Enoch. »Sie wären wirklich untröstlich, wenn ihm etwas zustieße.«
     
    »Schon gut, schon gut, ich habe verstanden, was Ihr meint«, sagte Jack, nachdem sie sich kraft Enochs diplomatischen Geschicks aus der Schmiede befreit hatten und ihre Körperteile sämtlich noch intakt und funktionsfähig waren. »Um eine wertvolle Fracht für die Jungfernfahrt des Schiffs zu bekommen, brauchen wir nicht nach Batavia zu fahren und es mit Gewürzen vollzuladen.«
    »Mit Wootz -Barren werdet Ihr in jedem beliebigen Hafen am Persischen Golf oder am Roten Meer einen ausgezeichneten Preis erzielen«, sagte Enoch in gelehrtem Ton. »Ihr könntet sie gegen Seide oder Perlen tauschen, und dann irgendeinen europäischen Hafen ansteuern...«
    »Wo wir alle sofort nach der Ankunft zu Tode gefoltert würden. Das ist ein hervorragender Plan, Enoch.«
    »Ganz im Gegenteil, in London oder Amsterdam würdet Ihr vielleicht am Leben bleiben.«
    »Ich hatte vor, in die entgegengesetzte Richtung zu fahren.«
    »In Manila oder Macao würdet Ihr zwar vielleicht einen Markt für wootz finden«, sagte Enoch, nachdem er einen Moment überlegt hatte. »In den mohammedanischen Ländern würdet Ihr aber viel besser wegkommen.«
    »Lasst uns morgen nach Südwesten in Richtung Malabar-Küste aufbrechen.«
    »Wird

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