Confusion
und in wärmeren Gefilden zu leben.«
»Jedenfalls«, fuhr Gabriel Goto fort, »erreichte Peters Ruhm den Hof des Schoguns. Offensichtlich wird Russland Japan eines Tages von Norden her bedrohen. Wenn dieser Tag kommt, wird Japan Peters nach holländischem Vorbild gebauten Schiffen und seinen in Al-jabr unterwiesenen Geschützoffizieren wehrlos ausgeliefert sein, es sei denn, wir haben den Norden Honshus und die große Insel nördlich davon – eine Ezo oder Hokkaido genannte Wildnis voll blauäugiger Primitiver – fest in der Hand.«
»Also ist deine Familie auf zweierlei Weise nützlich für den Schogun. Ihr versteht etwas vom Kupferabbau und habt ein Interesse daran, in den Norden zu gehen.«
Gabriel Goto schwieg, was Jack als ein Ja auffasste.
»Sag mal – hat die Sorge des Schoguns angesichts dieser militärischen Bedrohung zu einer Lockerung seines Verbots von Feuerwaffen geführt?«
»Er importiert Rangaku -Bücher, was so viel bedeutet wie ›Holländisch Lernen‹, um so auf der Höhe der Entwicklung im Festungs- und Artilleriewesen zu bleiben. Das Verbot von Feuerwaffen wird jedoch nie aufgehoben werden«, sagte Gabriel Goto bestimmt. »Das Schwert ist das Symbol von Adel – es ist das, was einen Mann als Samurai kennzeichnet.«
»Wie viele Samurai gibt es in Japan?«
Gabriel Goto zuckte die Schultern. »Ihr Verhältnis zur gesamten
Bevölkerung liegt irgendwo zwischen eins zu zehn und eins zu zwanzig.«
»Und allein in Edo leben eine Million Menschen?«
»So hat man mir gesagt.«
»Also zwischen fünfzig- und hunderttausend Samurai in dieser einen Stadt – von denen jeder ein Schwert besitzen muss?«
»Zwei – das lange und das kurze. Natürlich haben viele auch mehr als einen Satz.«
»Natürlich. Und ist Damaszenerstahl dort so heiß begehrt wie überall sonst?«
»Wir sind vielleicht isoliert, aber Ignoranten sind wir deswegen nicht.«
»Und woher beziehen die Schwertschmiede Japans diese Art von Stahl?«
Gabriel Goto sog scharf die Luft ein, so als wäre Jack mitten durch seinen Garten gestreift und hätte schlammige Fußspuren auf den weißen Kieseln hinterlassen. »Das ist ein großes Geheimnis, der Gegenstand von Legenden«, sagte er. »Du weißt, dass die meisten Japaner Buddhisten sind.«
»Natürlich«, sagte Jack, der das nicht gewusst hatte.
»Der Buddhismus kam aus Hindustan. Genau wie manche unserer anderen Traditionen, die sehr alt sind – wie etwa Tee...«
»Und Stahl«, ergänzte Jack, »der über Jahrhunderte von den besten Schwertschmieden Japans aus Indien importiert wurde, und zwar in Form kleiner eiförmiger Masseln mit einem unverwechselbaren Muster aus kreuzweisen Schraffuren.«
Diesmal machte Gabriel Goto kein Hehl aus seiner Verblüffung. »Wie hast du das herausgefunden?!«
Unterhalb von ihnen hatte sich das schmale Ende des riesigen Masts in den Strand gerammt. Eins der Bootpaare wurde gerade von durchnässten Ruderern verlassen. Die andere Gruppe drosch auf das Wasser ein und versuchte, den Stamm herumzudrehen, damit er aufs Trockene gerollt werden konnte. Auf den ersten Blick schien er sich überhaupt nicht zu bewegen. Er bewegte sich aber doch, so langsam wie der Minutenzeiger einer Uhr – so stetig wie das mysteriöse Rad, von dem Gabriel Goto dauernd sprach.
»Du möchtest in diese Heimat zurückkehren, die du nie gesehen hast«, sagte Jack. »Deutlicher könnte es kaum sein.«
Gabriel Goto schloss die Augen und wandte sich der Lakkadiven-See
zu. Die auflandige Brise wehte ihm das lange Haar aus dem Gesicht und ließ seinen Kimono sich wie ein farbenfrohes Segel blähen. »Wenn ich, als ich noch ein Junge war, neben dem Knie meines Vaters stand und ihm zusah, wie er seine Bilder von der Überfahrt nach Niigata malte, sagte er immer und immer wieder zu mir, Japan sei für uns ein verbotenes Land geworden, und die Orte, die er da malte, seien Orte, die ich nie sehen würde. Und genau das habe ich die meiste Zeit meines Lebens geglaubt. Als ich aber im Vatikan stand und darauf wartete, den Ring des Papstes küssen zu dürfen, richtete ich meinen Blick nach oben an die Decke dieser Kapelle, die von einem Maler namens Michelangelo mit einem prachtvollen Gemälde geschmückt worden war. Weder in der lateinischen, noch in der englischen oder japanischen Sprache gibt es Worte, um dessen Pracht zu beschreiben. Und das ist genau der Grund, warum es da ist, denn manchmal sagen Bilder mehr als Worte. Auf diesem Gemälde gibt es eine Stelle, wo der
Weitere Kostenlose Bücher