Confusion
ein ganzes Jahr damit zugebracht, Abbitte zu leisten. Seitdem fiel es Jack schwer, der Königin in die Augen zu schauen, und sie hatte nur noch ganz selten ein paar Worte an ihn gerichtet – er war eine Art Ausgestoßener geworden, sexuell und gesellschaftlich betrachtet ein Cheruman.
Über genau diese Dinge dachte Jack gerade nach, während er beobachtete, wie ein drittes, etwas größeres Krokodil sich auf den Besanmast hinaufkämpfte, als er mit einem gelinden Schock bemerkte, dass die Königin (wenn auch durch Dappa) mit ihm sprach, und zwar in vollständigen Sätzen. Sie war inzwischen an Bord ihres Bootes gegangen und stand jetzt, flussaufwärts zu Jack gewandt, am Bug. Die übrigen Verschwörer in ihren Kniebundhosen, Perücken, wallenden Gewändern und Kimonos saßen hinter ihr und lauschten ihr mit offensichtlicher Neugier.
»Das Gold gehört mir, Vagabund, nicht dir – oder hast du gewagt, das anders zu sehen?«, übersetzte Dappa die Worte der Königin. Und fügte als Nebenbemerkung hinzu: »Sie hat einen viel abwertenderen Begriff als ›Vagabund‹ benutzt, aber...«
»Du versuchst, meine Gefühle zu schonen – das verstehe ich. Sag
der Königin, dass sie es uns ganz klar gestohlen hat, genau wie wir dem Vizekönig, und dass ich mir nie etwas anderes vorgestellt habe. Dappa, glaubst du, sie hat ihre Tage oder so?«
Die Königin antwortete: »Warum versuchst du dann, mich zu täuschen, indem du auf einem großen Schiff, in das ich viel von meinem Eigentum investiert habe, über den Horizont davonsegelst?«
»Dappa, hast du ihre Majestät nicht über die grundlegenden Prinzipien des Schiffseignergeschäfts in Kenntnis gesetzt? Muss ich erklären, was Anteile sind? Muss ich sie daran erinnern, dass die Mannschaft großenteils aus handverlesenen Malabaren bestehen soll? Dass ihre beiden Söhne an Bord sein werden? Was geht in ihrem Kopf vor?«
»Höchstwahrscheinlich hat sie ihre Tage, wie du gesagt hast«, entgegnete Dappa, »und außerdem ist sie nicht besonders gut aufgelegt, weil ihre Jungen das Nest verlassen.«
Die Königin sagte etwas. Im selben Moment hob sie beide Hände und nahm vorsichtig eins der metallenen Schmuckstücke von ihrem Hals: einen einzelnen Ring aus Damaszener-Stahl, wie ein Tafelteller mit einem großen Loch in der Mitte. Sie packte den Ring mit einer Hand und drehte ihn aus dem Handgelenk heraus auf ihren Bauch zu, während sie sich seitlich zu Jack stellte. Dann schoss ihre Hand plötzlich vor. Der Ring flog zischend durch die Luft, verpasste Jack um Haaresbreite und bohrte sich beängstigend tief in einen Baumstamm.
»Hört mit euren Privatgesprächen auf und redet mit mir«, sagte sie. Ein weiterer Ring verließ ihren Hals, und alle Männer in einem Umkreis von hundert Yard duckten sich. Diesen schleuderte sie auf ein näheres Ziel: das Seil, mit dem ihr Boot am Kai vertäut war. Der Ring fuhr so mühelos durch das Seil wie er einen Sonnenstrahl zerschnitt und verschwand mit einem leisen Brutzeln im Wasser. Das Boot begann flussabwärts zu treiben. Aus dem Augenwinkel heraus gewahrte Jack eine Bewegung und drehte sich nach hinten zu den Masten um: Auch sie hatten sich schwerfällig in Bewegung gesetzt und trieben nun im Fluss dahin – Königin Kottakkals erster Wurf hatte ihr Haltetau durchtrennt.
Ein dritter Ring wirbelte durch die Luft und grub sich unmittelbar neben einem aufgerollten Seil, an dessen Ende ein Wurfblei befestigt war, in den Großmast. »Merk dir dieses Seil«, sagte die Königin. »Wenn du es einem deiner Freunde hier auf meinem Boot zuwirfst, sind deine Masten gerettet. Wenn nicht, treiben sie aufs Meer hinaus und ihr alle seid bis ans Ende eurer Tage meine Sklaven.«
»Bist du sicher, dass du das richtig übersetzt hast?«, fragte Jack nach.
»Ich habe es haargenau übersetzt«, sagte Dappa mit einem nervösen Blick auf die davondriftenden Masten.
»Hab ich sie richtig verstanden – sie will, dass ich durch krokodilverseuchtes Wasser schwimme, um die Masten zu retten?«
»Der Justizapparat ist hier nicht besonders gut ausgebildet«, sagte Dappa. »Es gibt nur eine Art von Gerichtsverhandlung, und das ist das Gottesurteil.«
»Ich stehe hier vor Gericht? Für welche Straftat denn?«
»Für Straftaten, die du in Zukunft begehen könntest – das heißt, deine Ehrenhaftigkeit wird auf die Probe gestellt. Das kann manchmal bedeuten, dass jemand über Feuer gehen muss. Dann wieder muss der Beklagte zwischen Krokodilen hindurchschwimmen. Wie
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