Confusion
Cabo Corrientes vergraben haben oder auch nicht, versetzen uns in eine stärkere Position, als sie uns zukommt.«
»Dappa hat ihre Briefe gelesen«, bemerkte Jack. »Er räumt zwar ein, dass ihr Latein hochtrabend und schwer verständlich ist und er manch eine Nuance übersehen haben mag. Aber er scheint der Meinung zu sein, dass die Berichte der Überlebenden uns in einem günstigen Licht erscheinen lassen.«
»Wenigstens die Hinrichtung im Schnellverfahren dürfte uns erspart bleiben«, räumte Moseh ein.
»Jetzt bist du wieder der Alte – immer Optimist.«
Der Hafen von Navidad schickte seinerseits ein Boot aus, um ihnen Vorräte zu bringen. Das Einzige, was gegen Skorbut half, war an Land zu gehen, aber seit sie das Goldene Tor erreicht und wieder angefangen hatten, die Früchte der Erde zu essen, fielen niemandem mehr Zähne aus, und das Zahnfleisch war bei den meisten auch wieder rosa geworden. Was immer auf diesem Boot war, sollte sie eigentlich bis nach Acapulco über Wasser halten. Wie sich herausstellte, brachte das Boot ihnen nicht nur Lebensmittel, sondern auch eine Neuigkeit aus Madrid: König Karl II., »der Leidende«, war endlich gestorben.
Natürlich interessierte das auf der Minerva kaum jemanden, zumal es keine besondere Überraschung war, denn die ganze Christenheit hatte schon seit drei Jahrzehnten darauf gewartet. Da sie sich aber gerade im Spanischen Reich befanden, setzten sie ernste Mienen auf. Edmund de Ath bekreuzigte sich. Elizabeth de Obregon bedeckte ihr Gesicht und verschwand wortlos in ihrer Kajüte. Jack ging naiverweise davon aus, dass sie einen Rosenkranz für den toten Monarchen betete. Als er aber später seine eigene Kajüte aufsuchte, um ein Nickerchen zu machen, konnte er das Kratzen hören, das Kratzen ihres Federkiels, der noch mehr Briefe schrieb.
Sie segelten eine weitere Woche entlang der von Kakao- und Vanilleplantagen gesäumten Küste, und am achtundzwanzigsten Januar sichteten sie zum ersten Mal seit ihrer Abfahrt von Manila im Juli wieder eine Stadt. Es war eine Zusammenballung schäbiger kleiner Hütten, die aussah, als könnte sie jederzeit von den dahinter aufragenden grünen Bergen ins Wasser geschubst werden. Sie hätten sie für ein armseliges Fischerdorf halten und daran vorbeisegeln können, hätte mittendrin nicht ein großes Kastell gestanden.
Die steilen Felswände dieser Berge ließen auf einen Tiefwasserhafen schließen. Das wurde durch ein paar große Schiffe bestätigt, die so nah ans Ufer gefahren waren, dass man sie an Bäumen vertäut hatte! Die Einfahrt in den Hafen war jedoch hindernisreich; die Barque de négoce , die von dort auf sie zukam, musste mit ihren drei Lateinsegeln allerhand schwierige Manöver vollziehen, bis sie ins blaue Meer gelangte. Diese Bark protzte mit je zwei Sechspfündern zu beiden Seiten ihres hohen Hecks und ungefähr einem Dutzend Drehgeschützen, die rundherum auf ihrem Schanzdeck verteilt waren. Mit anderen Worten, im Vergleich zu einem holländischen Ostindienfahrer wie der Minerva war sie mehr oder minder unbewaffnet. Die auffällig bunten Verzierungen an ihrem Heck und die sagenhaft vielschichtigen Wappen auf ihrer Schiffsflagge deuteten jedoch darauf hin, dass diese Bark von jemand Wichtigem ausgesandt worden war: laut Elizabeth de Obregon vom Kastellan, der höchsten Instanz in Acapulco. Die beiden Überlebenden der Galeone wurden an Bord der Bark willkommen geheißen. Die Minerva erhielt die Anweisung, nicht in den Hafen einzufahren, sondern einige Meilen die Küste abwärts bis zu einem Ort namens Port Marques weiterzusegeln.
Van Hoek hatte davon gehört; Port Marques war der halboffizielle Schmugglerhafen, den Schiffe anliefen, die mit Silbermasseln und anderer Schmugglerware aus Peru kamen und ihre Fracht schlecht unmittelbar unter den Fenstern der Feste von Acapulco löschen konnten. Da in Acapulco ohnehin jedes Gebäude entweder eine Lehmhütte oder ein Kloster war, ließen sie Acapulco ohne jedes Bedauern hinter sich und warfen ein paar Stunden später vor Port Marques Anker. Dieser Ort war noch schäbiger und einfacher, wenig mehr als ein von Landstreichern, Schwarzen, Mulatten und Mestizen bewohntes Lager.
Moseh ging mit der ersten Bootsfuhre an Land, ließ sich mit dem Gesicht voraus in den Sand fallen und küsste ihn. »Nie wieder werde ich meinen Fuß auf ein Schiff setzen, so wahr Gott mein Zeuge ist!«, brüllte er.
»Wenn du mit Gott redest, warum sprichst du dann Sabir?«, rief Jack, der
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