Confusion
war in der Tat wie ein kugelförmiger Vogelkäfig aus gebogenen Messingstangen konstruiert, die den Längen- und Breitengraden entsprachen. Der größte Teil (die Ozeane) war durchbrochen. Doch die Kontinente waren gebogene, an die Stangen genietete Messingplatten. Sie waren nicht an der Außen-, sondern an der Innenseite des Käfigs angebracht, sodass die Stangen über ihre Vorderseite liefen – jedenfalls für die Feiernden, die drum herum standen. Um den Südpol herum hatte man einen unregelmäßigen, ganz und gar erfundenen Kontinent platziert, der das hypothetische Land Antarktika darstellte, und in diesen war eine runde Luke eingeschnitten, zu der vom Boden aus eine Treppe hinaufführte.
Dr. Krupa (ein böhmischer Mathematiker, der hier so etwas wie ein permanenter Hausgast geworden war) sagte: »Eure Hoheit, einige haben behauptet, die Pole der Welt seien Öffnungen, durch die man ins Erdinnere gelangen könne. Nun habt Ihr persönlich Gelegenheit, diese Hypothese zu überprüfen.«
Die Prinzessin schien vergessen zu haben, dass noch andere Menschen im Raum waren, und hatte nicht einmal Tante Figgie oder Tante
Sophie begrüßt. Sie blieb einen Moment lang am Fuße der Treppe stehen, das O ihres Mundes eine Entsprechung des großen Lochs, das sie gleich verschlingen würde. Sogar Friedrich Wilhelm hielt einen Augenblick lang den Mund, da er spürte, wie ein frisson die versammelten Erwachsenen durchlief, aber nicht die leiseste Ahnung hatte, warum. Dass Prinzessin Caroline von Ansbach einmal ein kleines, mittelloses Waisenkind gewesen war, hatten die meisten längst vergessen. Aber irgendetwas an der Haltung, in der sie dort unter dem Loch in der Antarktis stand, ohne sich all der Umstehenden bewusst zu sein, erinnerte an die Waise, die vor fünf Jahren, eskortiert von zwei Naturphilosophen und ein paar Dragonern, auf Sophie Charlottes Schwelle erschienen war.
Dann trat ein Lächeln in ihr Gesicht, und sie kletterte durch das Loch. Die Erwachsenen hörten auf, den Atem anzuhalten, und applaudierten – was Friedrich Wilhelm die Ablenkung lieferte, die er brauchte, um sich hinten um die Feiernden herumzuschleichen und Georg August mit einem Buch auf den Kopf zu schlagen. Leibniz, der nicht viel Erfahrung mit Kindern hatte, sah es völlig entgeistert mit an. Dann bemerkte er, dass Sophie ihn amüsiert betrachtete. »Es geht los«, sagte sie, »die Jungen wetteifern schon um Carolines Aufmerksamkeit.«
»Ach, das tun sie?«, fragte Leibniz ungläubig, während Georg August 15 , der fünf Jahre älter war als sein Angreifer und doppelt so groß, Friedrich Wilhelm 16 gegen einen kleineren Globus herkömmlicher Bauart schmetterte, den man in eine Ecke geschoben hatte, um Platz für den neuen zu schaffen. Die Pappmaché-Kugel wurde zerknautscht, und Friedrich Wilhelm hatte sie am Ende auf dem Kopf sitzen, wodurch er wie irgendein antipodisches Geschöpf mit monströs vergrößertem Gehirn aussah.
Diese Streiche waren von Monsieur Molyneux, einen hugenottischen Schriftsteller, der sich in Berlin aufhielt, seit seine Familie in Savoyen ausgelöscht worden war, nicht bemerkt oder absichtlich ignoriert worden. »Warum sollten wir die Welt eigentlich nicht als Käfig sehen, in dem unser Geist gefangen gesetzt worden ist?«, überlegte er.
»Weil Gott kein Gefängniswärter ist«, antwortete Leibniz scharf, hielt jedoch inne, als ein noch schärferer Ellbogen (der von Sophie) ihn in den Rippen traf.
Prinzessin Caroline hatte ihren Platz eingenommen: einen mitten in dem Globus angebrachten Drehhocker. Sie stellte einen Fuß auf den Schnittpunkt des zwanzigsten Meridians westlicher Länge und des zwanzigsten Grades sündlicher Breite, sodass ihr Zeh wie ein riesiger weißer Wal aus dem Südatlantik hervorzubrechen schien, stieß sich damit ab und versetzte sich so in Drehung. »Ich drehe mich!«, berichtete sie, »die Welt dreht sich um mich!«
»Das nenne ich Solipsismus«, bemerkte irgendwer trocken.
»Es ist mehr als das«, sagte Leibniz, »es ist eine weitreichende Frage der Naturphilosophie. Woher wissen wir eigentlich, ob wir in einem sich drehenden Universum still stehen oder uns in einem festen Kosmos drehen?«
»Iiieeh, mir ist schwindelig!«, sagte Caroline und erklärte damit, warum sie die Füße aufgesetzt und angehalten hatte.
»Da habt Ihr Eure Antwort«, sagte Dr. Krupa.
»Keineswegs. Ihr nehmt an, das Schwindelgefühl sei ein – innerlich hervorgerufenes – Symptom unseres Drehens. Aber warum
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