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Confusion

Confusion

Titel: Confusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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Quecksilbermagnaten aus. Alle drei trugen sie einen hohen, spitz zulaufenden Spotthut und ein weites, sackartiges gelbes Bußgewand mit einem riesigen roten X darauf, das so genannte Sanbenito . Wären diese Gewänder mit Bildern von Engeln, Teufeln und Flammen verziert gewesen, hätte das bedeutet, dass ihre Träger am Ende des Tages auf Scheiterhaufen vor den Toren der Stadt verbrannt werden sollten. Das rote X dagegen hieß, dass die Träger dieser Gewänder bußfertige Gotteslästerer waren, die es die nächsten Jahre immer, wenn sie sich vor die Tür begaben, würden anziehen müssen. Jack gehörte nicht zu den Menschen, die besonderen Wert auf Kleidung legten, aber er wusste, dass die Dekoration, die er heute trug, nicht nur für ihn von größter Bedeutung war, sondern für alle, die mit der Münze in Verbindung standen – also für alle in La Ciudad de México, ausgenommen die unselige Inquisition, die von Rom aus gesteuert wurde und keine andere Möglichkeit hatte, ihre Finger in den dahinfließenden Silberstrom zu stecken, als wenn sie Leute wie Jack und Moseh gefangen setzte und ausnahm. Jedenfalls beeinflusste die Tatsache, dass er und seine Gefährten jeder ein rotes X trugen, vermutlich gerade in diesem Moment einen Markt irgendwo auf der Welt. Und in der Annahme, dass alle Nachrichten am Ende auch Amsterdam erreichten, widmete Jack die nächste halbe Stunde einem kleinen Tagtraum über eine blauäugige Frau, die gerade in einem Kaffeehaus am Damplatz saß, diese Nachricht vernahm und mit einem gewissen Landstreicher in Zusammenhang brachte, mit dem sie in ihren jungen Jahren umhergezogen war.
    Er wusste, dass seine Söhne irgendwo in der Stadt sein mussten,
sonst wäre sein Sanbenito nämlich mit Flammenbildern geschmückt gewesen. Seine Augen brauchten eine ganze Stunde, bis sie sie gefunden hatten, was aber gar nichts ausmachte, da das Autodafé ohnehin ein ganztägiges Ereignis war. Die Tribünen füllten eine Seite des Zócalo (ihre Errichtung hatte zwei Monate gedauert), und alle, die darauf standen, strahlten bis zu einem gewissen Grad Glanz und Herrlichkeit aus, ob es nun der Erzbischof war, der vom höchsten Mittelaltar aus über die Zeremonie herrschte, oder die Frauen der Münzer in ihrem Sonntagsstaat. Allerdings konnte man bei der Kleidung eine unleugbare Tendenz zum Tristeren feststellen, je größer der Abstand zum Erzbischof wurde, so dass sich der Übergang zum gemeinen Volk, das in seinen ungefärbten, einfachen Kleidern auf der Straße stand, fast nahtlos vollzog. Jenseits davon wirkten die Menschen immer unscheinbarer und brauner, je weiter sie am Rand des Zócalo standen, bis sie fast in den roh behauenen Steinmauern aufgingen. An einer solchen Stelle erspähte Jack schließlich drei Männer, zwei braune und einen schwarzen, die ein paar Esel am Zügel hielten. Ihre Gesichter wurden durch die breiten Ränder ihrer Sombreros beschattet. Doch Jack hätte sie allein an ihren Eseln erkennen können. Diese Tiere waren immer noch mit dem gelben Staub des Hochlands und dem Schweiß von der Reise hierher überzogen, und jeder von ihnen hatte ziemlich kleine Satteltaschen, die aus dem dicksten Rindsleder genäht waren und an unzähligen Stellen Spuren vom Vorbeistreifen an Kaktusdornen aufwiesen. Das waren die Satteltaschen, in denen normalerweise Silber zu den Münzstätten heruntergebracht wurde. An diesem Morgen hingen sie schlaff an den Flanken der Esel. Ihr Inhalt war in die Gewölbe der Inquisition geschafft worden, wo er sicher zwischen Stapeln von Dokumenten lagerte, in denen jede Häresie aufgeführt war, die in der Neuen Welt je begangen oder erdacht worden war.
    Die Zeremonie vollzog sich von Anfang bis Ende auf Lateinisch. Wäre es nicht Dezember gewesen, wären sie wahrscheinlich alle einem Sonnenstich erlegen. Als ungefähr vier Stunden vergangen waren, bemerkte Jack, dass Moseh vor sich hin summte, etwas, was er nie im Leben erwartet hätte. Er war versucht, den Kopf näher zu Mosehs zu neigen, aber angesichts der Tatsache, dass er einen drei Fuß hohen Spotthut aufhatte, wäre die Bewegung etwa so unauffällig gewesen, wie wenn er auf dem Altar Tarantella getanzt hätte. Deshalb blieb er aufrecht stehen, so wie jedermann in Mexiko. Auf der anderen Seite von ihm murmelte Edmund de Ath seinerseits ein paar lateinische
Worte, aber statt dabei die Augen zu schließen und den Kopf zu senken, schien er geradeaus direkt in eine Phalanx wohlhabend aussehender Nonnen zu starren, die

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