Cora Historical Gold - 129 - Die Novizin
die sie bei der Feldarbeit getragen hatte. Sie ließ sich auf die Knie nieder und fasste in die Lederhülle mit den Prüfungsunterlagen. Mit dem Pergament kam eine graue Flüssigkeit heraus und spritzte ihr auf die Knie. Böses ahnend, brachte sie die Kiste in Schräglage und hörte es gluckern. Entsetzt starrte sie auf die schwärzliche Brühe, in der die Schriftstücke, das Horn mit Tintenpuder und die kostbaren Federkiele schwammen. Der ganze Boden der Truhe war mit Meerwasser gefüllt!
Wie in Trance löste sie die Kordel um die Dokumente und musste feststellen, dass sich die Rolle in ihrer Hand nicht öffnen wollte. Die wertvollen Prüfungsunterlagen waren nur noch eine aufgequollene Schafhaut, auf der die meiste Tinte zu unleserlichen dunklen Krakeln zerflossen war. Eloise versuchte, die Teile auseinander zu ziehen, doch die klebten fest zusammen, nur nicht in der Mitte, wo ein paar Stücke von dem billigen und daher schlechten Pergament noch nicht vom Meerwasser durchweicht waren. Verflixt – da hatte die Äbtissin doch wieder einmal am falschen Ende gespart!
Um doch noch etwas zu retten, zog sie die klebrige Masse auseinander, konnte jedoch nur noch stellenweise einige Wort- und Satzfetzen entziffern.
»… heilige Pflicht … Barmherzigkeit dagegen nicht minder … demütig … beurteilen … unsere Fragen schicken … unleserlich … unleserlich … unleserlich … unser Lieber Herr …«
Das Blut schoss ihr in den Kopf. Es gab nur noch die erbaulichen und frommen Anmerkungen, mit denen die Äbtissin das Regelwerk versehen hatte. Ein eisiger Schreck durchfuhr sie. Warum hatte sie nicht besser aufgepasst, als sie die Dokumente im Kloster angesehen hatte? Sie versuchte angestrengt, sich alle Eigenschaften und Tugenden, die dort aufgezählt waren, ins Gedächtnis zurückzurufen. Auf jeden Fall gehörten dazu Geduld … Frömmigkeit … irgendetwas mit Güte – dann Tapferkeit und Barmherzigkeit und natürlich Rücksicht. Ihre Miene verfinsterte sich. Erinnerte sie sich ausgerechnet an jene, weil sie sie auf dem Dokument gelesen oder weil Clemmie sie gerade erwähnt hatte?
In den Regeln hatte es Dutzende zu bewertender Eigenschaften gegeben, und sie konnte sich nur an ganze fünf davon erinnern.
Was nun? Es war zu spät, ins Kloster zurückzukehren. Sie hatten bereits den Ärmelkanal überquert, und selbst wenn sie genügend Mut aufbrächte, diese Seereise mit all ihren Schrecknissen zu wiederholen, konnte sie sich nur zu gut die Reaktion des Earl auf die Bitte vorstellen, man möge wieder an Bord gehen … nachdem sie ihn abgekanzelt hatte, weil er sie nötigte, bei diesem Wetter zu reisen. Er schien darauf zu brennen, schnellstmöglich nach Hause zu kommen; nie würde er einer Umkehr zustimmen, selbst wenn sie es über sich brächte, ihn darum zu bitten.
Eloise nagte an ihrer Lippe und dachte nach. Ob sie vielleicht einen Boten ins Kloster schicken dürfte? Der den Unfall der Äbtissin melden sollte und um eine Abschrift der Regeln bäte. Die Äbtissin würde die Mission als gescheitert erklären und sie nie das Gelöbnis ablegen lassen! Stöhnend schloss sie die Augen.
»Was ist denn los, Elly?« fragte Maria Clematis.
Eloise zuckte zusammen und presste dabei die Lederhülle an die Brust.
»Nichts. Wieso?«
»Du siehst so aus wie … an jenem Tag in der Küche.«
Maria Clematis ist schließlich meine allerbeste Freundin, dachte Eloise. Die würde doch gewiss Verständnis haben?
»Schon gut, Elly. Macht mir nichts aus, dass meine Kiste weg ist. Ich behelfe mich schon.«
Eloise schlug sich die Hand vor den Mund. »Oh, Clemmie – das tut mir aber Leid. Das habe ich ja ganz vergessen …!«
»Das braucht dir nicht Leid zu tun. Ich freue mich, dass man deine Truhe retten konnte. Zum Dank habe ich gerade einen Psalm gebetet.« Sie lächelte lieb, wie es ihre Art war, so dass Eloise sich wie eine Schlange im Garten Eden vorkam. Während sie selbst fieberhaft Pläne schmiedete, hatte Clemmie gebetet. »Du bist so wunderbar. Der Earl ist ein Grobian, und du hast ihm Paroli geboten! Du hast das Vertrauen nicht enttäuscht, das die Äbtissin in dich gesetzt hat.« Sie kroch auf den Knien zu Eloise und schlang die Arme um sie. »Eine bessere Kandidatenprüferin hätte sie nicht finden können.«
Das war Clemmies ehrliche Meinung. Eloise schlug das Gewissen, als sie die Freundin drückte und sich darauf einstellte, einen Mann auf der Grundlage von …
Nein, sie durfte niemandem etwas verraten … nicht
Weitere Kostenlose Bücher