Corum 02 - Die Königin des Chaos
die Realität vor ihm legten, über Rhalina und Jhary und die Wände des Tempels. Etwas vibrierte.
Und dann befand es sich plötzlich vor ihnen.
Ein kreuzförmiges Etwas stand in der Mitte des Tempels. Staunend betrachteten sie es von allen Seiten, aber seltsamerweise blieb die Perspektive von überall die gleiche. Es schimmerte silbern in der kühlen Dämmerung des Tempels. Durch das Gebilde hindurch, als wäre es ein Fenster, sahen sie den Ausschnitt einer Landschaft.
Arkyns Stimme erklang hinter ihnen.
»Das ist das Tor zu Xiombargs Ebene.«
Fremdartige schwarze Vögel flogen über den Teil des Himmels, den sie von hier aus zu sehen vermochten. Ihr schrilles Kreischen drang bis zu ihnen.
Corum schüttelte sich. Rhalina drängte sich an ihn.
»Ich werde Euch nicht weniger schätzen, wenn Ihr es vorzieht, hierzubleiben«, erklärte König Onald mit leicht bebender Stimme.
»Wir müssen es wagen«, murmelte Corum. »Wir müssen es.«
Aber es war Jhary, der mit fast herausfordernder Miene als erster durch das Tor trat und, seine Katze streichelnd, zu den alptraumhaften schwarzen Vögeln emporblickte.
»Wie kommen wir zurück?« erkundigte sich Corum.
»Wenn ihr Erfolg habt, werdet ihr auch einen Weg zurückfinden«, versicherte ihm Arkyn. Seine Stimme klang angestrengt. »Bitte, beeilt euch. Es zehrt an meiner Kraft, das Tor so lange offenzuhalten.«
Hand in Hand schritten Rhalina und Corum hindurch und blickten zurück.
Das kreuzförmige silberne Schimmern verblaßte. Sie sahen noch flüchtig Onalds besorgtes Gesicht, dann war es verschwunden.
»Das also ist Xiombargs Reich«, brummte Jhary und schnaufte. »Nicht gerade einladend, finde ich.«
In zwei Richtungen wuchsen finstere Gebirge in den grauen Himmel. Die häßlichen Vögel verschwanden in den Bergen. Vor ihnen wusch das faulige Wasser eines Meeres gegen den steinigen Strand.
ZWEITES BUCH
In dem berichtet wird, wie Prinz Corum und seine Gefährten sich weitere Feindschaft der Chaosherrscher zuziehen und eine neue fremdartige Form von Zauberei kennenlernen
DAS ERSTE KAPITEL
Der See der Stimmen
»Wohin jetzt?« Jhary blickte um sich. »Meer oder Gebirge? Keines von beiden ist sehr einladend.«
Corum seufzte tief. Die düstere Landschaft bedrückte ihn. Rhalina strich ihm sanft über den Arm, ihre Augen voll Verstehen.
Obwohl sie Corum ansah, sprach sie zu Jhary, der den Sack, von dem er sich nie trennte, auf der Schulter zurechtrückte.
»Landeinwärts wäre vermutlich besser, da wir kein Boot haben.«
»Aber auch keine Pferde«, erinnerte Jhary sie. »Es wird ein scheußlich langer Fußmarsch werden. Und woher wollen wir wissen, daß die Berge überhaupt überschreitbar sind, wenn wir sie erst erreicht haben?«
Corum warf Rhalina einen unglücklichen, aber dankbaren Blick zu. Er straffte seine Schultern. »Wir haben uns entschieden, diese Ebene zu betreten, nun müssen wir uns auch entscheiden, welchen Weg wir nehmen sollen.« Seine Hand ruhte auf dem Schwertknauf. Er starrte auf die Berge. »Ich habe auf dem Weg zu Ariochs Hof ein wenig der Macht des Chaos kennengelernt und es scheint mir, als wäre diese Macht hier noch stärker. Wir werden zu den Bergen wandern. Vielleicht finden wir dort jemanden, der uns zu sagen vermag, wo diese Stadt in der Pyramide zu finden ist, von der Lord Arkyn sprach.«
Und so machten sie sich auf den Weg über den groben Kies.
Eine ganze Weile später erst bemerkten sie, daß die Sonne sich kein bißchen am Himmel bewegt hatte. Die bedrückende Stille wurde nur hin und wieder von dem durchdringenden Kreischen der schwarzen Vögel unterbrochen, die ihre Niststätten auf den Berggipfeln hatten. Das ganze Land strahlte Trostlosigkeit und Verzweiflung aus. Jhary versuchte eine fröhliche Melodie zu pfeifen, aber das öde Land schien sie aufzusaugen und klanglos zu machen.
»Ich bildete mir immer ein, das Chaos beschäftige sich mit hektischer willkürlicher Schöpfung«, seufzte Corum. »Aber das hier ist noch schlimmer.«
»Das hier ist das Ergebnis, wenn diese Kreativität erschöpft ist«, erklärte Jhary ihm. »Am Ende führt das Chaos zu einer viel unerträglicheren Stagnation als jene, die es an der Ordnung anprangert. Es muß immer und immer neue Sensationen, mehr und mehr nichtssagende Wunder schaffen, bis es schließlich nichts mehr gibt, was es nicht versucht hat, und wenn es soweit ist, hat es vergessen, was wahre Kreativität ist.«
Nach einiger Zeit übermannte sie die Müdigkeit und sie
Weitere Kostenlose Bücher