Crazy Moon
Fahrradständer mit dem Fuß hoch. »Na na na«, lautete ihr Kommentar, als wäre
ich
diejenige gewesen, die sich danebenbenommen hatte. Damit stieß sie sich ab und fuhr in gemütlichen Schlangenlinien über die leere Straße nach Hause.
An manchen Abenden sah ich Licht unter ihrer Schlafzimmertür, lange nachdem sie mit Kater Norman auf dem Arm hochgegangen war. Dann stellte ich mir |133| vor, dass sie aufrecht im Bett saß und die gehässigen Stimmen in ihrem Kopf widerhallten, so wie auch in meinem Kopf die alten Stimmen immer mal wieder laut wurden. Falls es Mira auch nur im Geringsten so erging wie mir, konnte sie die Stimmen unmöglich auf ewig verbannen. Ich wusste aus eigener Erfahrung, dass es oft mitten in der Nacht geschah, wenn alles still war, wenn die Welt schlief. Dann tauchten die Stimmen auf wie Geister, die einen sanft, aber beharrlich verfolgen und im Kopf herumspuken, bis man endlich einschläft.
In der Woche vor dem vierten Juli, dem Nationalfeiertag, stürzte Morgan eines Mittags mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht ins Last Chance.
»Da hat aber jemand gute Laune!« Isabel stand neben der Kaffeemaschine und genehmigte sich gerade ihre dritte Tasse. Da es nieselte und kalt war – wahrlich kein Strandwetter –, herrschte im Restaurant wenig Betrieb. »Was ist denn mit dir los?«
»Mark hat gerade angerufen. Er kommt heute Abend und bleibt das ganze Wochenende!« Morgan flippte beinahe aus vor Glück.
»Toll«, meinte Isabel. »Einfach Superklassespitze!«
Morgan konterte sofort: »Jetzt sei doch nicht so negativ.« Sie trat hinter die Theke und arrangierte die Kaffeetassen so, dass die Henkel alle in dieselbe Richtung wiesen. Anschließend legte sie die Servietten auf dem Regal in einen rechten Winkel zu den Löffeln. Die ganze Zeit über hörte sie nicht auf zu lächeln. »Im Grunde magst du Mark doch auch«, sagte sie zu Isabel.
»Natürlich«, erwiderte Isabel sarkastisch. »Und falls er dieses Mal tatsächlich auftaucht, mag ich ihn sogar noch |134| mehr. Aber eigentlich wollten wir beide doch was zusammen unternehmen.«
»Er hat gerade erst angerufen und gesagt, dass er kommen kann.« Wie zu ihrer Verteidigung stemmte Morgan eine Hand in die Hüfte. So wie sie gestikulierte und ruckartig den Kopf bewegte, sah Morgan manchmal aus wie ein drolliger, tollpatschiger großer Vogel. Doch im nächsten Moment schämte ich mich für diesen Gedanken.
»Das hat er dir beim letzten Mal auch versprochen.« Isabel tat beschäftigt und schaute beim Sprechen demonstrativ zu ihren Gästen hinüber, obwohl nur einer ihrer Tische besetzt war.
Morgan verdrehte die Augen und sah mich flehentlich an: »Übernimmst du heute Abend meine Schicht, Colie? Bitte!«
Schon wieder eine Doppelschicht. Aber wenn ich irgendjemandem einen Gefallen schuldete, dann Morgan. »Geht klar.«
»Danke.« Sie lächelte und strich sich den Pony aus der Stirn, wobei der Minidiamant an ihrem Ring aufblitzte. »Ich hab noch so viel zu tun. Ich will etwas kochen, damit wir gemütlich zu Hause bleiben können. Also muss ich einkaufen und putzen und für meine Haare muss ich mir auch noch was einfallen lassen . . .«
Isabel stellte sich wieder vor die Kaffeemaschine und murmelte irgendwas Abfälliges vor sich hin.
Morgan zögerte, bevor sie sich schließlich einen Ruck gab: »Isabel? Kann ich das Haus heute Nacht für mich allein haben?«
»Und wo soll ich hin?«
»Du könntest bei Mira übernachten, sie hatte noch nie was dagegen.« Morgan senkte die Stimme. Ich verstand |135| den Wink und tat so, als hätte ich etwas in der Küche zu erledigen. Norman saß beim Fenster, das voller Regentropfen war, und las. Als ich reinkam, lächelte er mir flüchtig zu, dann blätterte er die Seite um und las weiter. Bick stand vor der Hintertür und wachste sein Surfboard, wobei er ab und zu einen bekümmerten Blick in den grau verhangenen Himmel warf. Er war einer von diesen Surf-Freaks, die nie damit aufhören, egal wie alt sie sind.
Durch die Durchreiche konnte ich Morgan weiterhin deutlich sehen. »Nur heute Nacht«, sagte sie gerade. »Ich möchte, dass . . . es soll eine ganz besondere Nacht werden.«
»Kotz würg.« Isabel stöhnte entnervt. »Mach doch, was du willst. Ich verpiss mich.«
»Du bist die Beste!« Morgans Gesicht leuchtete auf und sie umarmte Isabel begeistert. Die stand stocksteif da, aber Morgan ignorierte das.
»Okay, ich muss dringend los. Er kommt gegen sechs. Wir haben so viel zu besprechen . . .
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