Creepers - Der Fluch der Hexe
Grabsteine näher anzusehen und etwas in sein Notizbuch zu kritzeln. Feine weiße Wolkenstreifen durchzogen den blauen Himmel hinter ihm. Die stolzen Platanen und Weiden, die einst als winzige Schösslinge aus diesem Boden gewachsen waren, schienen gehorsam Wache zu stehen. Ihre Blätter regten sich kaum. Mr. Geyer wollte in seiner Jeans und dem karierten Hemd nicht so recht in dieses idyllische Bild passen. Aber im Grunde wirkteer überall fehl am Platz, ganz egal, wo er sich gerade aufhielt. Die einzelnen Kleidungsstücke seiner begrenzten Garderobe kamen mir inzwischen bereits bekannt vor.
»Es macht einen neugierig, nicht wahr, Courtney?« Er warf einen Blick auf Margaret, die am Boden hockte und Unkraut auszupfte, das sich erdreistet hatte, auf Prudence’ Grab zu wachsen. »Als ich Christians Tagebuch bei der Historischen Gesellschaft entdeckte, habe ich die ganze Nacht hindurch gelesen. Ich war wie hypnotisiert.« Seine Augen waren auf mein Gesicht gerichtet, aber sobald er den Kopf bewegte, wirkten seine Brillengläser wie Zerrspiegel. Wo wir gerade bei hypnotisierend waren. Ich sah wieder zu Margaret.
»Die Geschichte ist so traurig. Allein schon der kleine Teil, den ich bis jetzt kenne«, murmelte ich. Ich fragte mich, ob ich mir das Tagebuch wohl selbst einmal ausleihen könnte, aber die Historische Gesellschaft würde es bestimmt niemals einer Jugendlichen anvertrauen. Ich musste mich also mit den Seiten begnügen, die Margaret mir zeigte.
Sie stand langsam auf und fing an, sich den Dreck von den Händen zu reiben. »Es ist wirklich traurig, besonders weil wir das Ende kennen, aber ich habe diese Seite hier mitgebracht, damit sie uns zum Nachdenken anregt. Dad hat gesagt, wir brauchen unbedingt ein Motto.« Sie hielt sich die Seite direkt vor das Gesicht, als glaubte sie, irgendetwas übersehen zu haben.
»Wie wäre es mit …«, setzte sie an. »›Ungeduld erzeugt Zorn und Zorn Feuer‹?«, schlug sie vor.
Ich rümpfte die Nase. »Das klingt aber ziemlich bedrohlich«, kommentierte ich. »Wir wollen doch schließlich niemanden erschrecken.« Ich sah mich um. Der Friedhof war menschenleer. Wen sollten wir hier schon erschrecken?
Mr. Geyer kam an meine Seite. »Ich finde, du hast recht, Courtney. Vielleicht sollten wir lieber über ›die Natur richtet sich nicht nach unserem Stundenglas‹ nachdenken.«
Diesmal kniff Margaret skeptisch die Augen zusammen. »Und was für eine Botschaft soll das sein?« Sie hielt sich die Hand über die Augen, um sie vor der Sonne zu schützen.
»Dass die Natur ihrem eigenen Zeitplan folgt und damit auch ihren eigenen Gesetzen.« Während er sprach, hatte er sein Kinn nachdenklich erhoben.
»Ich glaube, ich muss erst einmal wissen, was wir überhaupt vorhaben, bevor ich mir ein Motto überlegen kann«, gab ich zu. Ein plötzlicher Lufthauch spielte sanft mit den Spitzen meines Haars. Es fühlte sich an wie die zärtliche Berührung eines Freundes.
»Vielleicht sollten wir ihnen einfach von Prudence erzählen«, platzte ich heraus. »Ihre Geschichte hat mich total gefesselt.«
Margaret und Mr. Geyer sahen mich mit schräg gelegtem Kopf an.
»Was sollen wir ihnen denn erzählen?«, fragte Mr. Geyer vorsichtig. Ich spürte, wie seine großen Augen jeden Zentimeter meines Gesichts aufmerksam beobachteten.
»Ähhhm …« Es kam mir plötzlich so vor, als müsste ich eine Prüfung bestehen. »Dass ihr Sarg verschwunden ist. Dass man beim ersten Umzug des Friedhofs, als man Platz für die Farm schaffen wollte, sterbliche Überreste verloren hat.« Meine Stimme wurde sicherer, weil mir die Idee vernünftig vorkam. »Es kann gut sein, dass es in der Stadt Leute gibt, deren Vorfahren hier begraben sind. Es will doch niemand, dass seine Vorfahren plötzlich verschwinden.« Ich zuckte mit den Schultern, als die beiden mich weiterhin anstarrten.
Margaret stand vor Prudence’ Grab und hockte sich urplötzlich hin, so als würde sie erwarten, dass Prudence ihr ihre Meinung zuflüsterte. Mr. Geyer öffnete sein Notizbuch und fing an, darin zu blättern. Was ist nur los mit den beiden? Sie schienen nicht gerade überzeugt.
»Wer weiß?«, fuhr ich hartnäckig fort, kaum eingeschüchtert von ihrem irritierenden Schweigen. »Vielleicht können wir ja sogar bewirken, dass der Friedhof unter Denkmalschutz gestellt wird. Mein ehemaliger Lehrer hat so etwas mal versucht, aber der war ein komischer Kauz – die Leute haben ihm nicht zugehört.« Während ich das sagte, fiel mein
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