Creepers - Der Fluch der Hexe
Eiswasser und hoffte, dass mich die eisige Kälte, die mir den Rachen hinunterrann, in Aktion versetzen würde.
Margaret und Mr. Geyer bereiteten sich zuhause vor und wollten heute Abend vorbeikommen, damit wir das Programm vor Mom und Dad durchspielen konnten. Mr. Geyer hatte uns den groben Ablauf bereits erklärt. Während er seinen kurzen Friedhofsrundgang beendete, sollten wir bei unseren Plakaten warten, um im Anschluss etwas über die Geschichte und den Hintergrund der Fotos zu erzählen, die wir für den Anlass ausgewählt hatten. Ich betrachtete mein Plakat. Vor dem hellblauen Himmel wirkte es irgendwie fehl am Platz, obwohl der Efeu, der draußen vor dem Fenster hing, einen angemessenen Rahmen bildete. Ich musste jedes der Bilder so genau kennen, als hätten die Verstorbenen zu meiner eigenen Familie gehört. Nur dann, hatte Mr. Geyer betont, würde ich in der Lage sein, die Herzen der Menschen zu berühren. Ich hätte es nie gewagt, Margaret und Mr. Geyer im Stich zu lassen.
Aufmerksam betrachtete ich die schwarz-weißen Fotos. Ich hatte jedes von ihnen sorgfältig mit großen schwarzen Buchstaben beschriftet, sodass sogar jemand, der weiter hinten in der Menge stand, noch alles lesen konnte. Margaret meinte, die Schrift sähe irgendwie schaurig aus, und machte dasselbe mit ihrem Plakat.
Das Foto links oben zeigte das Grab der Fletcher-Kinder. Zuerst sah man nur den riesigen Stein, der wie der Giebel eines Hauses geformt war, aber wenn man ihn genauer betrachtete, wich man instinktiv vor dem höhnisch grinsenden Skelett zurück, das seine Flügel besitzergreifend um die Namen legte, die darunter eingraviert waren. Jeder dieser Namen wurde von einem winzigen Symbol gekrönt. John, sechs Jahre, hatte als Symbol zwei gekreuzte Knochen, und Sarah, drei Jahre, eine Sanduhr. Ann, neun Wochen, hatte einen Engel, der nicht ganz so grimmig dreinblickte wie die meisten anderen, die ich auf dem Friedhof gesehen hatte.
Das nächste Foto zeigte den Grabstein eines kleinen Jungen. Mr. Geyer hatte mir von dem Steinmetz erzählt, der den Stein angefertigt hatte. Er war mit Christian bekannt gewesen. Auf den meisten Grabsteinen, die der Mann graviert hatte, besaß der Tod große, ruhige Augen und wirkte auf die Menschen, die am Grab vorübergingen, relativ gelassen. Mr. Geyer erklärte mir, die Darstellungen auf diesen Grabsteinen hätten den Menschen das Gefühl gegeben, dass sie den Tod nicht zu fürchten brauchten – bis jedoch der Steinmetz seinen eigenen Sohn verlor. Der Totenschädel des kleinen Joshua hatteeinen wütenden Ausdruck, seine Augen waren kaum mehr als Schlitze, seine Stirn war niedrig und seine Zähne sorgfältig ausgearbeitet. Ich erinnerte mich, wie Mr. Geyer erzählt hatte, dass Christian nach Prudence’ Grabstein keinen weiteren mehr anfertigte, wohingegen Joshuas Vater anscheinend einen wütenden Todesengel nach dem anderen gravierte. Jeder Mensch ertrug sein Schicksal auf eine andere Art und Weise, sagte Mr. Geyer, ohne den geringsten Hauch von Ironie.
Ich starrte die anderen Grabsteine auf den Bildern an und war überrascht, dass ich bei ihrem Anblick echte Trauer empfand, obwohl die Menschen, an die uns die Steine erinnerten, diese Welt vor über zweihundert Jahren verlassen hatten. Da war Ebenezer, der schiffbrüchige Seemann. Patience, die junge Mutter von vier Kindern und Ehefrau des Pfarrers. Am meisten erschütterte mich der Grabstein des Babys. Sein Name war böswillig herausgekratzt worden, weil es unehelich zur Welt gekommen war.
Skelette, Engel, Urnen, Brunnen, Totenschädel, Sonnen, Monde und diverse Dinge mit Flügeln – all diese Symbole waren faszinierend, aber nicht beängstigend. Es machte mich traurig, an all die verlorenen Leben zu denken, aber es machte mich auch froh, dass ihr Andenken so kunstvoll bewahrt worden war. Als ich Mr. Geyer von meinen Gedanken erzählte, lächelte er und meinte, genau das solle ich den Leuten sagen. Ich solle ihnen das Gefühl geben, selbst mit diesen Toten verwandt zu sein, als würden sie zu ihren eigenen Freunden und Familien zählen.
Ich muss wohl mindestens eine Stunde lang geübt haben. Mein Hals war schon kratzig, weil ich auf Mr. Geyers Rat hin die ganze Zeit über laut gesprochen hatte. Aber dafür fühlte ich mich jetzt deutlich sicherer, weil ich nur noch einen Blick auf das jeweilige Bild werfen musste und frei etwas darüber erzählen konnte, ohne mich an einen auswendig gelernten Text zu halten. Ich fühlte mich bereit für
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