Crescendo
mit dem Leben bezahlt hat.
Was geht jetzt in B vor? Und wieso macht er diese Fehler?«
»Betrachten wir zunächst die zweite Frage, und nehmen wir mal an, dass Ihre Theorie korrekt ist. Aufgrund von Motiven, die Sie besser einschätzen können als ich, greift er im Freien an, was ihn zu einer Vorgehensweise zwingt, die für ihn ungewohnt ist. Das ist einer der Gründe, warum er Fehler macht. Trotzdem wächst sein Selbstbewusstsein. Es war tollkühn, den Taxifahrer zu töten, anstatt sofort die Flucht zu ergreifen. Falls wir es hier wirklich mit einem einzigen Täter zu tun haben, dann hat er innerhalb der letzten zehn Wochen 484
drei Menschen getötet, und es bei zwei weiteren versucht.
Das ist extrem aktiv, selbst für einen Serienmörder. Falls es sich um einen Einzeltäter handelt, dann wird der Abstand zwischen den Verbrechen immer kürzer. Und seine Risiko-bereitschaft wächst. Möglicherweise hält er sich inzwischen sogar für unbesiegbar.«
»Wäre es vorstellbar, und ich weiß, das hört sich verrückt an, das hat man mir schon deutlich zu verstehen gegeben, aber könnte er zurückkommen, um eines der Mädchen zu töten, beispielsweise sein letztes Opfer?«
Langes Schweigen trat ein, ehe Professor Ball antwortete.
»Das wäre sehr dumm, und ich denke, Täter B ist überdurchschnittlich intelligent, obwohl er beruflich keine großen Leistungen erbracht hat. Aber … er wird wütend sein. Er wird nicht hinnehmen können, dass er versagt hat … und er hat ganz sicher genügend Selbstbewusstsein, es zu versuchen.«
»Also? Wäre es möglich?«
»Ja, es ist nicht auszuschließen, aber ein solcher Fall ist mir noch nie zu Ohren gekommen. Wann wurde das Mädchen überfallen?«
»Vor über einer Woche. Die ersten fünf Tage hat sie im Krankenhaus verbracht. Jetzt ist sie wieder zu Hause.«
»Er hat sich Zeit gelassen. Für obsessiv halte ich ihn eigentlich nicht …« Sie stockte, sagte dann unschlüssig: »Es sei denn, er muss sich selbst etwas beweisen – sein Versagen lässt ihm vielleicht keine Ruhe. Es tut mir Leid, etwas Eindeutigeres kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Dann verabschieden wir uns jetzt besser. Professor Ball, Ihre Erkenntnisse waren wie immer äußerst hilfreich.«
»Könnte ich Sie noch kurz unter vier Augen sprechen, Superintendent?«
Fenwick wartete auf dem Flur und kam sich vor wie ein 485
unartiger Schuljunge. Durch die geschlossene Tür konnte er Stimmengemurmel hören, und ab und an verstand er seinen eigenen Namen. Auf der Rückfahrt ins Büro war MacIntyre schweigsam, aber er gab sich einen Ruck, als sie aus dem Wagen stiegen.
»Alles in Ordnung, Andrew? Sie sehen blass aus.«
»Mir geht’s gut. Ich mache mir nur Sorgen um Ginny.
Wenn das mein Fall wäre …«
»Es ist aber nicht Ihr Fall, und wenn Sie’s genau wissen wollen, ich hätte genauso reagiert wie Cave. In ein paar Minuten kann nichts passieren.« MacIntyre schlug ihm auf den Rücken und sagte, er solle den Kopf nicht so hängen lassen. »Zu Ihrer Beruhigung werde ich Cave noch mal anrufen und mich nach dem Stand der Dinge erkundigen.« Er lachte, als sie sein Büro betraten, hörte aber abrupt auf, als er auf seinem Schreibtisch die dringende Nachricht sah, in Telford anzurufen.
Die Männer starrten einander an, und eine unausgesprochene Angst breitete sich zwischen ihnen aus. Fenwick schaltete sein Handy ein, hoffte verzweifelt, dass er keine Nachrichten bekommen hatte, aber er wurde enttäuscht. Er ging zum Fenster, um einen besseren Empfang zu haben, und sah zu, wie MacIntyre die Nummer wählte. Fenwick lehnte sich gegen die kühle Scheibe und rief seine Mailbox an.
»Chief Inspector, hier ist Cave. Er ist zurückgekommen.
Ich brauche Sie hier, sofort.«
Fenwick stieg Gallegeschmack in die Kehle. Er hörte, wie MacIntyre hinter ihm mit Cave sprach. Er war nicht in der Lage, sich umzudrehen, um den Gesichtsausdruck des Superintendent zu beobachten. Cave hatte nur gesagt, dass er zu-rückgekommen war, er hatte nicht gesagt, dass Ginny tot war. Vielleicht lebte sie noch, doch das Grauen in seinem Herzen sagte etwas anderes.
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»Verstehe. Wir fahren sofort los. Wenn wir in der Nähe sind, rufe ich nochmal an wegen der Wegbeschreibung.« MacIntyre legte den Hörer auf und räusperte sich.
Fenwick wischte sich durchs Gesicht und merkte, das ihm kalter Schweiß auf der Stirn stand.
»Es tut mir Leid, Andrew. Ginny ist tot. Sie wurde heute Nachmittag im Badezimmer ihres Elternhauses
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