Crime
steckt das Notizbuch zurück in die Tasche und sieht noch mal die Sammelkarten durch. Babe Ruth. Reggie Jackson. Mickey Mantle. Joe DiMaggio. Scots Bobby. Er liest die Kurzbios auf der Rückseite. Bobby Thomson war kein Spitzenspieler wie die anderen, alle ohne Zweifel Superstars in ihrer Sportart. Zur Legende wurde er wegen dieses einen Schlags, nicht wegen seiner spielerischen Laufbahn. Trotzdem hat sie ihn aufgehoben. Baseball kapierte er nicht. Vielleicht muss man dazu Amerikaner sein. Ein Gähnen reißt ihm den Mund auf; der Schlaf benagt ihn wieder.
Glücklich, ihm zu erliegen, spült es ihn weg wie Regenwasser durch ein Fallrohr.
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Edinburgh (3)
Im Stockbridge Deli hockend, dachtest du an Britneys letzte Tage, aber der ungewisse, silbrige Himmel draußen konnte dir auch keine Gewissheit bringen. Wie es aussah, war ihre Leiche in der tückischen Samstagnacht vom grasbewachsenen Klippenrand hinunter in die kiesige Bucht geworfen worden, wo die wetterfesten Wanderer sie am nächsten Morgen fanden. Der Mord musste nach der Schätzung des Gerichtsmediziners aber schon früher am Samstagnachmittag geschehen sein, durch Erwürgen. Mr. Confectioner hatte sie für dreieinhalb höllische Tage gefangen gehalten, die Pathologen und Forensiker akribisch rekonstruierten.
Eine alte Frau hat dich in dem Café angestarrt: Du klappertest mit deiner Tasse schwarzen Kaffees nervös auf der Untertasse herum. Du stelltest das ein und mustertest die anderen Gäste: ein Meer von blonden, rotbraunen und schwarzen Haarschöpfen, die zu diesem allgegenwärtigen rosigen Grau verschwammen. Jeder hier war erstens der Archetyp des Nordeuropäers und zweitens leicht schäbig und angeschmuddelt, eine hohe Kunst, wie sie nur die Schotten in Perfektion gemeistert haben.
Für die Ermittlung im Fall Nula Andrews hatte die Polizei von Welwyn Garden City ein falsches Grab einschließlich Grabstein und begleitenden Todesanzeigen in der lokalen Presse arrangiert. Es war eine Taktik, auf die die Polizei oft zurückgriff. Man wusste, dass der Geständnisdruck sehrstark ist, und dass der Mörder oft den unwiderstehlichen Drang entwickelt, die letzte Ruhestätte zu besuchen und Zwiesprache mit seinem Opfer zu halten. Überwachungskameras und Mikrofone waren in den Ästen über dem Grab installiert und zeichneten alle eventuellen Geständnisse von Nulas posthumen Besuchern auf.
George Marsden war erst ein Fürsprecher dieser Maßnahme gewesen, hatte aber nun Vorbehalte, wie du feststellen musstest, als du zurück im Büro warst, um ein weiteres langatmiges Gespräch mit Eastbourne zu führen.– Genau das hat den falschen Mann hinter Gitter gebracht, Ray.
Aber du begannst zu glauben, dass es die letzte Chance war; von der Graham-Cornell-Sackgasse abgesehen, war die Spur erkaltet. Robert Ellis war nur einer der Sonderlinge, die an diesem Grab in Hertfordshire ein billiges »Geständnis« vor ihrem Opfer ablegten. Sich das Tape von Ellis anzuhören, war ekelhaft. Die unschuldige Nula wurde grausam als geiles Luder verhöhnt, das auf alle möglichen sexuellen Praktiken versessen war. Obwohl Ellis der versteckten Kamera den Rücken zugewandt hatte, machte es den Eindruck, als hätte er auf ihre letzte Ruhestätte masturbiert, während er sein abartiges Geschwafel herausließ. Das bestätigte zwar, dass es sich bei ihm um einen schwer gestörten Menschen handelte, der irgendwann extrem entgleist war, aber, fragten die kühleren Köpfe, war er auch der Mörder? Logistisch gesehen, hätte er dafür über ein übermenschliches Organisationstalent und außergewöhnliche Kaltblütigkeit verfügen müssen. Aber die ermittelnden Beamten wussten, dass die Öffentlichkeit Blut sehen wollte und dass die Chefs längst im Ruhestand sein würden, bevor die Medien, die den Lynchmob angefeuert hatten, die Neigung oder den Mut hatten, die Sache ernsthaft zu recherchieren. Daher wurde es schnell unpopulär, ein kühler Kopf zu sein.
Du studiertest die Welwyn-Akte noch mal und interessiertest dich besonders für die einzige Person, die nicht identifiziert worden war. Der Betreffende war nur einmal aufgetaucht, in einem Parka mit Schnorchelkapuze, und hatte stumm am Grab gestanden, bis er gestört wurde– absurderweise durch das Erscheinen von Robert Ellis. Der andere hatte sich vor den Grabstein gekauert und ihn eine Weile betrachtet und war dann, als Ellis ins Bild kam, aufgestanden und gegangen. Sie hatten kurz ein paar Worte gewechselt. Was Ellis sagte,
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