Crime
harten Mann zwischen seinen neuen Harte-Männer-Kumpels. Sucht weiter nach seinem Vater. In einem Meer von Zehntausend weiß er, wo er ihn zu suchen hat. Hinterm Tor links. Irgendwo da.
Lennox schaut auf die Uhr. Sechzigste Minute. Zwei Drittel des Spiels sind jetzt rum. St. Mirren lässt sich im Paisley-Stadion zusammenfalten wie ein Klappstuhl, aber die Hearts stehen immer noch auf Platz eins. Lass es uns wenigstens in die siebzigste Minute schaffen, betet er zu einer höheren Macht. Dundee dreht noch mal auf. Die Hearts beginnen zu schwächeln, wirken schon fast, als hätten sie sich aufgegeben. Lennox fürchtet, dass zu viele Spieler am liebsten gar nicht hier wären. Sie sind bei Kontern schon ein paar Mal nahe dran gewesen, aber Dundee macht das Spiel. Die Hearts haben bisher nur zwei von elf Chancen gegen deren Gurkentruppe verwandelt. Beim medialen Säbelrasseln hat Archie Knox, Dundees kämpferischer Manager, die Tatsache genüsslich ausgeschlachtet.
Knox wechselt Schnäuzermann Albert Kidd ein, ein genaues Ebenbild des Comedians Bobby Ball vom Duo Cannon and Ball, für ihn geht Tosh McKinlay. Lennox atmet erleichtert auf, denn McKinlay ist einer von Dundees besten Spielern. Und trotzdem stürmt die Heimmannschaft. Dann rettet Henry Smith spektakulär für die Hearts, wehrt einen Schuss von Mennie, der durch eine Wand von Spielern unmöglich zu sehen war, zur Seite ab. Lennox schreit vor Glück und Erleichterung, dann liegen er und ein Wildfremder sich in den Armen. In dieser Spielunterbrechung spürt er den Atem der Geschichte. Ihm geht es nicht als Einzigem so. Das Stadion erhellt sich unter den lustvollen »Here we go«-Gesängen, und die Siebzig-Minuten-Marke ist überschritten. Danach geht das Nägelkauen weiter, bis sich schließlich eine erschreckende Stille und Starre über dieMenge legt, als nur noch zehn Minuten die Hearts von der Meisterschaft trennen. Ray Lennox hat einen Kloß im Hals, als er erst seinen Vetter Billy, dann seinen Onkel sieht. Sein Dad steht links von ihnen. Er schiebt sich neben ihn und berührt seine Schulter.
In der dreiundachtzigsten Minute wird Robert Connors Eckstoß von rechts durch Brown verlängert. Albert Kidd steht völlig frei und zirkelt den Ball aus nächster Nähe mit rechts an Smith vorbei. Es ist sein erstes Tor in dieser Saison. Lennox hört ein entsetztes Keuchen durch die Menge gehen, und einen Fluch von seinem Vater, ein Wort, das er aus dessen Mund noch nie gehört hat.– Sieben Minuten vor Schluss!, stöhnt sein Vetter Billy. Lennox denkt an den 07.07.70. In ganz Großbritannien schreibt der Live-Service-Bildschirmtext der BBC den Treffer fälschlich den Hearts und deren Kapitän, Walter Kidd, zu.
Neuer Spielstand … Dundee0 … Hearts1 (Kidd, W.)
Dann:
Korrektur … Dundee1 (Kidd, A.) … Hearts0
In diesem Moment spürt Lennox, wie ihnen die Meisterschaft entrissen wird. Die Zuschauer unterstützen die Mannschaft lautstark, peitschen sie an, den Ausgleich zu schießen, aber die Spieler sehen aus, als würden sie ihrer Erschöpfung erliegen. Dann fühlt John Lennox ein Zupfen an seiner Brust, und sein Arm wird taub. Er wünschte, die Leute um ihn herum, sein Sohn, sein Bruder und sein Neffe, würden aufhören zu schubsen. Ray Lennox sieht seinen Vater langsam auf den Tribünenboden sinken, als legte er sich schlafen. Ein paar Typen poltern– Wat soll datt denn werden?–, machen ihm aber Platz.
– DAS IST MEIN VATER !, schreit Lennox, ohne jemand Bestimmten zu meinen, und geht neben John in die Knie.– Dad, ist alles in Ordnung? Er schaut zu seinem Onkel Davie, zu seinem Vetter Billy und zurück zu seinem Vater. John Lennox lächelt mühsam und etwas genervt.– Nichts passiert, sagt er mit offensichtlich geschwächter Stimme und sieht den Mann, der er war, sorglos und stark, jederzeit bereit, solche Nachmittage zu genießen oder zumindest als rüstiges Relikt von ihnen zu zeugen, ein für alle Mal in die Vergangenheit entschwinden.
Albert Kidd schießt vier Minuten vor dem Ende der regulären Spielzeit nach einem wunderschönen Solo sein zweites Tor. Er stürmt über die Seite, vorbei an mehreren Hearts-Spielern, spielt einen Doppelpass und knallt den Ball als Direktannahme an Smith vorbei ins Netz. Er kann noch nicht wissen, dass er damit am Höhepunkt seiner Sportlerkarriere ist, dass er nur auf Erden wandelt, um die Hearts zu peinigen und ihnen diese Meisterschaft zu nehmen. Diese fünf Minuten werden die längsten im Leben
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