Crossfire 2: Feuerprobe
fragte
sie leise.
Es folgte ein kurzes Schweigen. Jakes Stimme zitterte, als er
flüsternd antwortete: »So glücklich wie jedes andere,
nehme ich an.«
»Hast du jemals an mich gedacht während all dieser
Jahrzehnte?«
»Natürlich habe ich das«, flüsterte Jake.
»Lucy, du solltest nicht…«
»Das werde ich auch nicht. Ich wollte es nur
wissen.«
Wieder verstummten sie. Alex atmete ganz langsam aus.
Schließlich flüsterte Jake: »Es ist eigenartig.
Dieselben Dinge, die Menschen zusammenführen, bringen sie am
Ende auch wieder auseinander.«
»Meinst du uns beide?«, fragte Lucy.
»Nein«, antwortete Jake, »ich meine Alex und diesen
Commander Julian Martin.«
Alex hörte, wie sich Lucy in der Dunkelheit bewegte.
»Alex und Julian Martin? Davon hat Jon McBain uns gar nichts
erzählt!«
»Jon McBain dürfte auch nichts davon mitbekommen haben.
Zumindest interessiert ihn so was nicht. Er begeistert sich nur
für seine Forschung.«
»Wird diese Liebesaffäre irgendwie Alex’ Kampf
gegen diesen Martin beeinflussen?«, fragte Lucy spröde.
»Nein«, entgegnete Jake, und Alex spürte, wie sie
sich wieder entspannte. »Sie ist mit Leib und Seele ein Greenie.
Sie…«
»Du hast gesagt: Dasselbe, was sie zusammenführte, hat
sie auch wieder auseinander gebracht«, unterbrach ihn Lucy.
»Wie meintest du das?«
Diesmal brauchte Jake länger, um eine Antwort zu formulieren.
Vielleicht war er auch einfach nur müde. Endlich flüsterte
er: »Alex ist so, wie die meisten ihrer Generation, die hier auf
Greentrees geboren sind. Sie sind nicht wie wir, Lucy. Sie sind in
Mira Citys unglaublicher Fülle aufgewachsen: reiche Ernten,
ergiebige Bergwerke, ein mildes Klima… Niemand von ihnen ist
sich bewusst, wie reich Greentrees ist, weil ihnen jeder Vergleich
fehlt. Sie haben nie die Zustände auf der Erde erlebt.
Und deshalb sind sie alle, selbst die klügsten unter ihnen,
ein wenig naiv. Sie sind daran gewöhnt, dass es von allem genug
gibt und dann noch ein wenig mehr. Sie wurden niemals mit einem
Mangel konfrontiert, mit verzweifelter Not. Oder mit nackter Gier.
Selbst die Aufrührer aus Hope of Heaven – schau sie dir an!
Sie halten sich für die gefährlichsten und
gewalttätigsten Rebellen aller Zeiten, dabei hat es, bevor
Julian Martin hier aufkreuzte, nicht mal einen vorsätzlichen
Mord auf Greentrees gegeben – nicht einen einzigen!«
»Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst«,
flüsterte Lucy. »Was hat das mit Alex und diesem Martin zu
tun?«
»Ich erkläre es dir, aber dann muss ich schlafen.«
Alex hörte die Schwäche aus seiner Stimme heraus, die tiefe
Erschöpfung. »Als du noch ein Kind warst, Lucy, damals auf
der Erde, habt ihr da in der Schule mal das Sozialverhalten von
Hühnern untersucht? Vielleicht auch nur als
Computersimulation?«
»Nein.«
»Du bist wohl zu jung. Es war eine pädagogische Mode
während meiner Kindheit.« Jake verstummte kurz und verlor
sich in alten Erinnerungen an eine Schulzeit, die Alex sich nicht
einmal vorstellen konnte.
»Und?«, fragte Lucy ungeduldig.
»Hühner haben untereinander eine Hackordnung. Selbst
wenn genug Futter für alle da ist, selbst wenn sie förmlich
in Futter schwimmen, etablieren sie doch ein Ordnung, die bestimmt,
wer wann fressen darf. Und das Gleiche ist bei Säugetieren der
Fall – bei Hunden und all den ausgestorbenen Wildtieren,
Hyänen und Löwen und so weiter. Sie alle streben instinktiv
nach einer festen Rangfolge. Und das gilt auch für uns.
Anscheinend bekommen wir nichts zu Stande, solange wir diese
Rangfolge nicht haben.«
»Ich verstehe immer noch nicht…«
Plötzlich klang seine Stimme barsch: »Du hast mich
geliebt, weil ich auf Greentrees was zu sagen hatte. Und Alex hat
sich aus dem gleichen Grund in Julian Martin verliebt. Du hast mich
verlassen und bist mit Karim gegangen, weil es dir nicht gefallen
hat, was ich mit meiner Macht angefangen habe. Und aus dem gleichen
Grund hat sich Alex auch gegen Martin gestellt. Macht macht anziehend
– ein starker Geist, ein starker Körper und auch
politischer Einfluss. Und sie wirkt so anziehend, weil sie den
Gedanken vermittelt: ›Ich kann mehr kontrollieren als du, aber
dich kontrolliere ich nicht; bei dir mache ich eine Ausnahme, weil du
etwas Besonderes bist.‹ Bis man irgendwann feststellt –
natürlich! –, dass das doch nicht der Fall ist.«
»Das ist lächerlich!«, fuhr Lucy wütend auf,
eine gedämpfte Explosion in der Dunkelheit. »Damit
unterschlägst du alle
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