Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
stand dieser Abgesandte der Hölle direkt neben ihm. Der Herr des Vampirs hatte in weniger als drei Sekunden die vertikale Holzwand erklommen. Noch dazu barfuß.
»Verschone mich, großer Zauberer!«, jammerte der Leutnant und ließ sich auf die Knie fallen. »Verschone mich, ich zünde für dich auch ein Dutzend großer Kerzen in der Basilius-Kathedrale an!«
»Auf deine Kerzen kann ich getrost verzichten.« Der Fremde öffnete den Kartentisch und entrollte einen Plan der Hauptstadt auf dem Fußboden. »Zeichne!«
»Und was, Herr?«
»Du als Leutnant solltest doch eigentlich so einiges wissen. Zeichne mir also bitte ein, wo die Grenzen der Kommunen verlaufen. Und dann unterschreibe.«
»Also … den genauen Verlauf der Grenzen kenne ich nicht … Wir haben auch keine Kommunen, hier in der Hauptstadt gibt es nur Garnisonen. Und deren Grenzen darf ich nicht eintragen!«
»Soll ich meinen Freund rufen?«, fauchte der Fremde, packte unvermittelt den kleinen Finger des Leutnants und bog ihn schmerzlich zum Handrücken zurück. »Du weißt doch, wie Fleder jagen, oder?« Die wilden Augen des Mannes bohrten sich dem Leutnant bis ins Hirn. »Vor seinem Schwanz ist niemand sicher. Und ein Tier wie dieses hast du garantiert noch nie erlebt. Der kleine Kerl kommt von der Ostsee. Der schlägt auf dich ein und dreht dann erst mal eine Runde. Ich würde glatt weggehen und dich mit ihm allein lassen. Der Fleder wartet ab, bis deine Beine dir den Dienst versagen. Aber das reicht ihm noch nicht, deine Hände müssen auch unbrauchbar sein. Erst dann macht er sich über dich her. Da er aber ziemlich klein ist, du dagegen recht groß, wird dieses Festmahl eine ganze Weile dauern. Zeichnest du mir jetzt die Grenzen ein, du Dreckskerl?«
Der Leutnant griff nach der Kreide.
»Wie viele Menschen leben zurzeit in der Stadt?«
»Das hat niemand gezählt«, knurrte der Leutnant. »Angeblich leben innerhalb der Ringstraße um die hundertzwanzigtausend.«
»Sag deinen Schreihälsen, dass sie das Tor aufmachen sollen! Du begleitest mich. Sag ihnen, dass ich dich dem Fleder überlasse, wenn irgendjemand uns nachkommt!«
»Nein! Wenn ich meinen Posten verlasse, hängt man mich auf!«
Der Fremde reckte das Kinn vor. Auf dem Dach des Turms gurrten Brieftauben – die eine Sekunde später als kleine weiße Leichen zu Boden fielen. Der Leutnant schloss die Augen und sprach alle Gebete, an die er sich erinnerte.
»Die Vögel tun mir sehr leid«, erklärte der Fremde. »Ich wollte eigentlich nur ins Institut für Kälte. Ich wäre bereit gewesen, für eine bewaffnete Leibgarde zu zahlen. Stattdessen hat dein Soldat seinen Hund auf mich gehetzt. Diese Stadt ist wirklich eine einzige Enttäuschung. Setz dich auf die Stute und reite voraus! Du zeigst mir den Weg, hier ist die Adresse. Und lass es dir ja nicht einfallen, dich zu verlaufen . Spar dir am besten auch jeden Fluchtversuch, denn die Stute hört nur auf mich. Außerdem wohnt in der kleinen Tasche an ihrem Sattel mein Freund, der Fleder. Jedenfalls normalerweise. Heute spendiere ich ihm aber eine andere Unterkunft … Laska gefällt mir übrigens, die nehmen wir mit.«
Als sie am Sportstadion Olympia vorbeikamen, war es schon fast dunkel. Im Stadion loderten Lagerfeuer, irgendwo erklangen Schreie und das Klirren von Waffen. Ein Wettkampf lief. An der Ecke Sucharewskaja Uliza hielt sie die Patrouille der nächsten Garnison an. Der Leutnant zeigte ihr seine Sicherheitsplakette. Vielleicht spielte er sogar mit dem Gedanken, rumzukrakeelen und sich vom Pferd fallen zu lassen – nur trug er einen Rucksack, in dem der Fleder mit den Zähnen klapperte. Und der ließ nur noch einen Gedanken im Kopf des Leutnants zu: den an die giftigen Stacheln am Schwanz dieses Vampirs. Noch dazu baumelte am Pferd des Fremden ebenfalls so eine kleine Tasche. Ob da vielleicht ein zweiter …?
Der Zauberer betrachtete alles um sich herum voller Neugier und stellte etliche dumme Fragen. An der Sretenka mussten sie ziemlich lange warten, bis irgendwelche Cowboys ihr Vieh vorbeigetrieben hatten. Als der Leutnant dem Zauberer mitteilte, diese Herde gehöre nicht der gesamten Garnison, sondern Pap Jakob, dem Chef in Tschistyje Prudy, persönlich, das beweise das quadratische Brandmal, schien das den Mann ungeheuer aufzuregen. Auch dass einige Garnisonen Bordelle unterhielten und die Frauen dort arbeiteten, wenn sie Schulden gemacht hatten, wollte er zunächst nicht glauben.
Die jüngsten Schauplätze von
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