Cugel der Schlaue
Meister Soldinck, was sagt Ihr?«
»Ich finde alles in bester Ordnung. Ich überlasse es Euch, den Befehl zu geben.«
»Vielen Dank, Herr. Tilitz, Parmele, werft die Leinen vorn und achtern! Drofo, die Würmer bereit! Sparvin, steure schräg zum Azimut der alten Sonne, bis wir an der Untiefe von Bracknock vorbei sind! Die See ist ruhig, der Wind flau. Heute abend werden wir bei Laternenlicht auf dem Achterdeck speisen, während unsere großen Würmer, von Cugel und Lankwiler gelenkt, uns durch die Dunkelheit ziehen!«
Drei Tage vergingen, während derer Cugel ein solides Grundwissen über den Wurmingerberuf erwarb.
Mit seinen Bemerkungen sorgte Drofo für wertvollen theoretischen Einblick. »Für den Wurminger«, sagte er, »sind Tag und Nacht, Wasser, Luft und Gischt nur leicht unterschiedliche Aspekte einer größeren Umwelt, deren Begrenzungen das Meer und die Geschwindigkeit des Wurmes bestimmen.«
»Gestattet mir eine Frage«, wandte Cugel sich an Drofo. »Wann schlafen wir?«
»Schlafen? Nun, wenn du erst tot bist, wirst du lange und ungestört schlafen können. Bis zu deinem beklagenswerten Ableben mußt du jeden Augenblick deiner Bewußtheit wachsam hüten, denn das ist der einzige Schatz, der diesen Namen wirklich verdient! Wer weiß schon, wann das Feuer der Sonne endgültig erlöscht? Selbst die Würmer, die üblicherweise schicksalsergeben und unergründlich sind, verraten Anzeichen der Unruhe. Erst heute morgen ganz früh sah ich, wie die Sonne im Horizont schwankte und kraftlos zurücksank. Es dauerte eine Weile, bis sie sich mit kränklichem Pulsieren hochschwingen konnte. Eines Morgens werden wir ostwärts blicken und warten, doch die Sonne wird nicht mehr aufgehen. Dann kannst du schlafen.«
Cugel lernte mit sechzehn verschiedenen Hilfsmitteln umzugehen und wurde mit dem Wesen der Würmer vertraut. Saugstecher, Flossenmilben, Wasserstein und Pusteln wurden ihm zu verhaßten Feinden, genau wie die Eiterbeulen, die zu öffnen und säubern viel Arbeit machte – es mußten für letzteres Bohrer, Saugrohr und Schlauch benutzt werden, und zwar in einer Stellung, die es unvermeidbar machte, daß man selbst durch den Innendruck viel des Ausflusses abbekam.
Drofo verbrachte einen großen Teil seiner Zeit am Bug und schaute grübelnd aufs Meer. Hin und wieder gesellten Meister und Madame Soldinck sich zu ihm, um sich mit ihm zu unterhalten, und dann und wann auch Meadhre, Salasser und Tabazinth, einzeln oder gemeinsam, die ehrfurchtsvoll seiner weisen Meinung lauschten. Auf Kapitän Baunts verstohlenen Hinweis bedrängten sie Drofo, Flöte zu spielen. »Falsche Bescheidenheit ziemt sich nicht für einen Wurminger«, erklärte Drofo. Er spielte und tanzte dazu die Hornpipe und einen Saltarello.
Drofo schien sich weder um die Würmer noch um die Wurminger zu kümmern, doch der Schein trog. Eines Nachmittags vergaß Lankwiler die Köderkörbe ganz zu füllen, die acht Zoll vor seinen Würmern hingen. Infolgedessen wurden seine Würmer langsamer, während Cugels mit der richtigen Ködermenge eifrig dahinschwammen. So begann die Galante einen langsamen weiten Westwärtsbogen einzuschlagen, gegen den selbst der Steuermann trotz aller Anstrengung nicht ankam. Drofo, der vom Bug gerufen wurde, erkannte sofort die Ursache, außerdem entdeckte er Lankwiler schlafend in einem warmen Winkel neben der Kombüse.
Drofo stupste Lankwiler mit den Zehen. »Sei so gut und steh auf. Du hast deine Würmer nicht ausreichend mit Köder versorgt, deshalb ist das Schiff vom Kurs abgekommen!«
Lankwiler starrte verwirrt hoch. Seine schwarzen Locken waren zerzaust, und die Augen blickten in verschiedene Richtungen. »Ah ja«, murmelte er. »Der Köder! Ich vergaß ihn, und ich fürchte, ich bin eingenickt.«
»Es überrascht mich, wie fest du schlafen konntest, während deine Würmer immer mehr nachließen«, tadelte Drofo. »Ein guter Wurminger ist stets aufmerksam. Er spürt sofort die geringste Unregelmäßigkeit und sieht nach ihrer Ursache!«
»Ja, ja«, murmelte Lankwiler. »Ich sehe meine Unachtsamkeit ein. ›Unregelmäßigkeit spüren‹, ›nach ihrer Ursache sehen‹. Ich werde es mir sogleich aufschreiben.«
»Außerdem haben sich Saugstecher an deinem äußeren Wurm angesiedelt. Du mußt sie vorsichtig entfernen!«
»Selbstverständlich, Herr. Sofort, wenn nicht früher!« Lankwiler kämpfte sich auf die Füße und verbarg ein breites Gähnen hinter vorgehaltener Hand, während Drofo ihn wortlos beobachtete,
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