Cujo
Überall lagen Töpfe und weißes Zeug, das wie Schnee aussah aber Seifenpulver sein mußte.
Auf dem Notizblock an der Wand stand in großen, flüchtig hingekritzelten Blockbuchstaben:
ICH HABE OBEN ETWAS FÜR DICH HINTERLASSEN, BABY
Plötzlich hatte Roscoe Fisher keine Lust, nach oben zu gehen. Nicht die geringste. Dreimal war er dabei gewesen als hinter Frank Dodd aufgeräumt wurde. Auch bei der Leiche von Kate Hendason, die im Orchesterpavillon im Stadtpark von Castle Rock vergewaltigt und ermordet worden war. So etwas wollte er nie wieder sehen … und wenn nun die Frau oben lag? Erschossen, erstochen oder erwürgt? Auf den Straßen hatte Roscoe oft verstümmelte Unfallopfer gesehen und sich in gewisser Weise daran gewöhnt. Vor zwei Jahren im Sommer hatten er und Sheriff Bannerman einen Mann stückweise aus einer Kartoffelsortiermaschine herausgeholt. Aber seit der
Sache mit dem Hendrasen-Mädchen hatte er keinen Ermordeten gesehen, und das wollte er auch heute nicht.
Er wußte nicht, ob er über das, was er auf dem Bett der Trentons fand, Erleichterung oder Ekel empfinden sollte. Er ging zu seinem Wagen zurück und rief die Zentrale.
Als das Telefon klingelte, saßen Vic und Roger, ohne viel zu reden, vor dem Femseher und rauchten eine Zigarette nach der anderen. Frankenstein lief, die Originalfassung. Es war zwanzig Minuten nach eins.
Vic nahm den Hörer auf, als das erste Klingelzeichen noch kaum verstummt war. »Hallo? Donna? Bist du …«
»Sind Sie Mr. Trenton?« Eine Männerstimme.
»Ja?«
»Hier spricht Sheriff Bannerman, Mr. Trenton. Es tut mir leid, aber ich habe eine beunruhigende Information für Sie. Es tut mir leid …«
»Sind sie tot?« fragte Vic. Plötzlich kam er sich völlig unwirklich und zweidimensional vor, wie das Gesicht eines Statisten, der in einem alten Film im Hintergrund zu sehen ist. Wie in dem Film, den sie gerade sahen. Er hatte die Frage wie in einer normalen Unterhaltung gestellt. Aus dem Augenwinkel sah er Rogers Schatten sich bewegen, als sein Partner rasch aufstand. Es war unwichtig. Alles andere auch. In den paar Sekunden, die vergangen waren, seit er den Hörer abgenommen hatte, war ihm vieles über sein Leben klar geworden. Es bestand nur aus Bühnenausstattung und falschen Fassaden.
»Mr. Trenton, Officer Fisher wurde hinbeordert …«
»Lassen Sie doch diese offizielle Scheiße und beantworten Sie meine Frage. Sind sie tot?« Er drehte sich zu Roger um. Rogers Gesicht war grau und fragend. Hinter ihm drehte sich eine unechte Windmühle vor einem unechten Himmel. »Rog,’ hast du eine Zigarette?«
Roger gab ihm eine.
»Mr. Trenton, sind Sie noch da?«
»Ja. Sind sie tot?«
»Wir haben keine Ahnung, wo Ihre Frau und Ihr Sohn sich
zur Zeit befinden«, sagte Bannerman, und Vic hatte plötzlich das Gefühl, als läge bei ihm jedes Organ wieder an der richtigen Stelle. Die Welt nahm ein wenig von ihrer früheren Farbe an. Er fing an zu zittern. Die kalte Zigarette hüpfte zwischen seinen Lippen auf und ab.
››Was ist passiert? Was wissen Sie. Sie sind Bannerman, sagten Sie?«
»Ja. Bezirks-Sheriff von Castle Rock. Und ich versuche, Sie ins Bild zu setzen, wenn Sie mir eine Minute Zeit lassen.«
»Ja, okay.« Jetzt hatte er Angst. Es ging alles zu schnell.
»Officer Fisher wurde auf Ihren Wunsch heute früh um null Uhr dreißig in Ihre Wohnung in der Larch Street beordert. Er stellte fest, daß sich weder in der Einfahrt noch in der Garage ein Wagen befand. Er klingelte wiederholt, und als nicht geöffnet wurde, benutzte er den Schlüssel über der Tür und betrat das Haus. Er stellte Zerstörungen an der Einrichtung fest. Möbel waren umgestürzt, Flaschen zerbrochen, Seifenpulver war in der Küche zerstreut, und die Einbauschränke …«
»Mein Gott, Kemp«, flüsterte Vic. Dun fiel der Zettel ein:
HABEN SIE IRGENDWELCHE FRAGEN?
Von allem anderen abgesehen, hatte er den Zettel als beunruhigenden Hinweis auf die seelische Verfassung des Mannes bewertet. Er hatte sich auf bösartige Weise dafür gerächt, daß Donna ihn zum Teufel gejagt hatte. Was hatte Kemp anschließend getan? Was hatte er getan, außer wie ein Indianer auf dem Kriegspfad durch das Haus zu ziehen?
»Mr. Trenton?«
»Ich bin noch am Apparat.«
Bannerman räusperte sich, als habe er Schwierigkeiten fortzufahren. »Officer Fisher ging nach oben. Oben war nichts zerstört, aber er fand Spuren einer - äh, einer weißlichen Flüssigkeit, wahrscheinlich Sperma, auf dem Bett
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