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Culpa Mosel

Titel: Culpa Mosel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mischa Martini
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zu Andrea Pawelka, so hielt er nun auf dem Rückweg telefonischen Kontakt zu Doris. Schließlich hatte er das Mobiltelefon seiner Beifahrerin überlassen und raste nun mit allem, was sein Wagen hergab, nach Trier zurück. Der Gedanke ließ sich nicht verdrängen: War er weggelockt worden und das eigentliche Ziel des Täters war seine Familie? Immer wieder ließ er sich von Andrea Pawelka das Handy geben und fragte Doris, ob noch alles in Ordnung sei.
     
    Auf die Tarnung durch die dunkle Kleidung hoffend, huschte Huck dicht an dem weiterhin gleichgültigen Malamute vorbei durch das niedrige Tor hinaus. Er verharrte eine Weile in der Allee auf der anderen Straßenseite. Einmal duckte er sich in die Hecken, doch das sich nähernde Blaulicht gehörte zu einem Rettungswagen, der schräg gegenüber in die Notaufnahme des Krankenhauses einbog. Nach einer Viertelstunde wagte er sich wieder hinaus zu dem einem Kiosk ähnelnden Häuschen und von dort um die Ecke zu den Haltestellen an der Klostermauer, an denen schon seit Stunden keine Busse mehr hielten. Der Platz vor dem Museum und der dahinter aufragenden Porta Nigra war menschenleer. Auch auf den Straßen waren weder Fußgänger noch Autos unterwegs. Aber der gesamte Bereich war viel zu groß, um ausschließen zu können, dass er nicht dabei beobachtet wurde, wie er sich an dem Gestänge hinter dem Wartehäuschen hochhangelte. Dabei scheuerte sein Rucksack verräterisch laut an den rauen Steinen der Mauer entlang. Ohne sich umzublicken, glitt er vom Sims der Mauer, den Stacheldraht auseinander drückend und mit den Schuhspitzen nach Halt in den Ritzen zwischen den Backsteinen tastend, an der Mauer hinunter.
    Unter seinen Schuhen raschelten dürre Äste und Blätter von Rankgewächsen, die in dem schmalen Spalt zwischen Mauer und der dahinter verlaufenden Reihe von Tannen wuchsen. Huck rief sich den Grundriss des Geländes in Erinnerung, den er sich nach dem Abschreiten außen an der Mauer entlang aufgezeichnet hatte. Sollte er entdeckt werden, hatte er keine Chance, sich auf dem zwar weitläufigen, aber letztlich doch übersichtlichen Gelände zu verstecken. Stattdessen müsste er sich in westlicher Richtung zu der Nebenstraße hin orientieren, von wo es für ihn kein Problem sein dürfte, über die anschließenden Hinterhöfe zu verschwinden.
    Den Kopf mit beiden Armen gegen das Geäst schützend, schlich Huck gebückt unter den Tannen hindurch. Zwischen ihm und dem Gebäude stand die große Libanonzeder. Genauso groß, wie er sie aus seiner Kindheit in Erinnerung hatte. Für einen Moment spürte er es wieder – das Gefühl der Unsicherheit, des Ausgeliefertseins, das ihn als Kind ständig begleitet hatte. Ein Griff seiner rechten Hand nach hinten zu dem Rucksack brachte seine Selbstsicherheit zurück. Was er darin fühlte, war eine Plastikflasche mit eineinhalb Litern Benzin. Das würde reichen, um die Hexe zu verbrennen. Bei lebendigem Leib.
     
    Der Anblick des Eingangs mit dem spitzen, kleinen Dach über dem Vorbau ließ Huck tief durchatmen. An die drei Worte, die oben in den Stein gemeißelt waren, erinnerte er sich gut: ,Noli me tangere’ bedeutete soviel wie,Rühr mich nicht an’.
    Er hatte keine Zeit zu verlieren. Das Rankgitter, über das er emporklomm, war hoffentlich in den letzten Jahren erneuert worden. An dem Haken in dem steilen Schieferdach rüttelte er vorsichtshalber, bevor er sich daran hochzog, den Fuß in die Dachrinne setzte und auf den breiten Fenstersims stieg. Seine Armlänge reichte gerade aus, um durch den Spalt des gekippten Fensters an den Griff zu gelangen. Dann stand er auf dem Linoleumboden des dunklen Flurs. Auf der rechten Seite zählte er bis zur siebten Tür. Diese Zahl war für ihn eine besondere Zahl, wie die Drei und die Zwölf. Edelberga selbst war es gewesen, die ihm das Zählen und später die Bedeutung der Zahlen aus religiöser Sicht beigebracht hatte. Und bis sieben musste er damals hier oben auf dem Flur zählen, wenn er ihr etwas zu ihrer Zelle bringen musste. Natürlich nur, wenn sie krank war. Einmal war es sein Zeugnis gewesen, das er ihr persönlich vorlegen musste. Selbst als Neunjährigem war ihm aufgefallen, wie sehr die Krankheit sie mitgenommen hatte, aber die Kraft, ihm mit voller Wucht ins Gesicht zu schlagen, hatte sie dennoch gehabt.
    Im Haus war es still. Zu hören waren nur seine vorsichtig gesetzten Schritte, sein Atem und das leise Klicken der Bleilettern mit der fünften Zeile aus dem Brief, die im

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