Cyberabad: Roman (German Edition)
Banane wie ein Linga zwischen den Fingern fest. »Bleiben Sie, reden Sie, einfach nur reden ...«
Dann geschah es. Selbst in den flackernden Schatten unter dem Balkon war das Profil unverkennbar, die Rundung der Wangenknochen, die Art, wie ys sich vorbeugte, um sich angeregt zu unterhalten, das Spiel der Hände im Laternenschein, das Lachen wie eine Tempelglocke.
»Tranh.«
Ys blickte nicht vom Gespräch mit sys Freunden auf, über den niedrigen Tisch gebeugt, in gemeinsame Erinnerungen vertieft.
»Tranh.« Diesmal wurde ys erhört. Tranh schaute auf. Das Erste, was Thal in sys Gesicht las, war völlige Verständnislosigkeit. Ich weiß nicht, wer du bist. Dann das Wiedererkennen, die Wiedererinnerung, gefolgt von Überraschung, Bestürzung, Missvergnügen. Schließlich peinliche Verlegenheit.
»Verzeihung«, sagte Thal und trat aus der Nische zurück. Alle Gesichter sahen ys an. »Tut mir leid, ich habe mich geirrt ...« Ys wandte sich um und flüchtete diskret. Das Bedürfnis zu schreien pumpte in sys Schädel. Der schüchterne Mann stand in der Begrünung. Während Thal immer noch feindliche Blicke auf sich gerichtet spürte, nahm ys ihm die Banane aus der weichen Faust, schälte sie, biss tief hinein. Dann setzte das Pharm ein, und Thal nahm wahr, wie sich die Dimensionen des Innenhofs in die Unendlichkeit erweiterten. Ys bot dem Mann die seltsame Frucht an.
»Nein, danke«, stammelte er, aber Thal hatte ihn am Arm gepackt und zerrte ihn zu einem unbesetzten Sofa. Ys spürte immer noch die glühenden Blicke, die auf sys Hinterkopf gerichtet waren.
»Also«, sagte Thal, setzte sich seitwärts auf das niedrige Sofa und drapierte die dünnen Hände um die angezogenen Knie. »Sie wollen mit mir reden, also lassen Sie uns reden.« Ein Blick zurück. Sie starrten immer noch. Ys aß den Rest der Banane, und die flackernden Laternen öffneten sich. Ys wurde von ihrer Gravitation eingesogen, und sys nächster klarer Gedanke beschäftigte sich mit der Fassade eines kurdischen Restaurants. Ein Kellner eilte mit ys an Tischen voller verblüffter Gäste vorbei zu einer kleinen Nische im hinteren Bereich, die von einem duftenden geschnitzten Zedernholzschirm abgetrennt war.
Wie gute Gäste kamen und gingen die Bananen der blinden Frau zeitig. Thal spürte, wie die geschnitzten geometrischen Muster auf den Trennwänden heranrasten, von himmlischer Ferne bis klaustrophobischer Nähe. Im Restaurant war es heiß, und die Stimmen sämtlicher Gäste, der Küchenlärm und die Straßengeräusche waren unerträglich scharf und nahe.
»Ich hoffe, es stört Sie nicht, dass ich Sie hierhergebracht habe, aber ich mochte es dort nicht«, sagte der Mann gerade. »Da kann man sich nicht unterhalten, nicht richtig jedenfalls. Hier jedoch ist es diskret, und der Besitzer ist mir einen Gefallen schuldig.« Mezze wurden gebracht sowie eine Flasche mit einer klaren Spirituose und ein Krug Wasser. »Arak«, sagte der Mann und goss ein wenig ein. »Ich selber trinke es nicht, aber mir wurde gesagt, dass es wunderbar geeignet ist, sich Mut einzuflößen.« Er fügte Wasser hinzu. Thal staunte, als die klare Flüssigkeit schlagartig leuchtend und milchig wurde. Thal nahm einen Schluck, schreckte vor dem fremdartigen Anisgeschmack zurück und nippte dann noch einmal langsamer und bedächtiger.
»Ys ist ein Chuutya«, erklärte Thal. »Tranh ist ein Chuutya. Ys wollte mich keines einzigen Blickes würdigen. Ys hatte nur Augen für sys Freunde. Jetzt wünschte ich, ich wäre nie gekommen.«
»Es ist so schwierig, jemanden zu finden, der einem zuhört«, sagte der Mann. »Jemanden, der keine Pläne verfolgt, der mich nicht um etwas bitten oder mir etwas verkaufen will. Bei meiner Arbeit will jeder hören, was ich zu sagen habe, welche Ideen ich habe. Jedes Wort von mir wird in Gold aufgewogen. Bevor ich Ihnen begegnet bin, war ich bei einem Durbar im Quartier. Alle wollten hören, was ich zu sagen habe, alle wollten etwas von mir, mit Ausnahme dieses einen Mannes. Er war ein seltsamer Mann, und er sagte etwas sehr Seltsames. Er sagte, wir seien eine deformierte Gesellschaft. Ich habe diesem Mann zugehört.«
Thal nippte vom Arak. »Schätzchen, das haben wir Neuts schon immer gewusst.«
»Also erzählen Sie mir von den Geheimnissen, die Sie kennen. Sagen Sie mir, wer Sie sind. Ich würde gern hören, wie Sie geworden sind, was Sie sind.«
»Nun«, sagte Thal und war sich unter dem aufmerksamen Blick des Mannes jeder Narbe und jedes Implantats
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