Da muss man durch
dich?»
Ich schaue zum Horizont, der gerade für einen kurzen Moment im Licht des Feuerwerks aufblitzt. Gute Frage. Was hält mich
eigentlich?
Ich schlafe schlecht in dieser ersten Nacht des neuen Jahres. Bronkos Frage verfolgt mich. Und sie wirft weitere Fragen auf,
die ich auch nicht beantworten kann. Wohin führt mein Leben? Was treibt mich an? Warum mache ich das überhaupt alles? Habe
ich so etwas wie einen Plan? |183| Oder kann es sein, dass ich mir tagtäglich völlig grundlos den Arsch abarbeite?
Ich erwache mit einer merkwürdigen Melancholie in den Knochen und beschließe, mir schon sehr bald eine Auszeit zu nehmen,
um ganz allein und in aller Ruhe über meine Zukunft nachzudenken.
Bei der Abreise bekomme ich Fotos vom Silvesterabend geschenkt, eine kleine Aufmerksamkeit des Hotels. Ich schaue sie durch
und stelle fest, dass ich müde und etwas verlebt aussehe. Ein Schnappschuss zeigt, wie Bronko und ich uns in den Armen liegen.
Ich muss grinsen, denn wir sehen wie die schwule Version von «Vom Winde verweht» aus.
Ein paar Wochen später sind meine guten Vorsätze Schnee von gestern. Ich rauche und trinke wieder, wenngleich nicht so maßlos
wie im letzten Jahr. Den Kaffee habe ich ganz gestrichen zugunsten eines grünen Tees, der wie ausgekochte Socken schmeckt,
aber sehr gesund sein soll. In der Region, in der er angebaut wird, wimmelt es nur so von Hundertjährigen, die das Zeug
täglich trinken. So ähnlich stelle ich mir die Hölle vor.
Seit gestern ist Konstantin im Verlag. Aufgrund der desaströsen Quartalsbilanz haben wir die eigentlich erst für den kommenden
Monat geplante Gesellschafterversammlung vorgezogen. Elisabeth von Beuten wird morgen eintreffen, bis dahin will Konstantin
ein beschlussfähiges Krisenpapier auf dem Tisch haben. Mein Konzept ist längst gestorben. Konstantin hat inzwischen persönlich
mit den Peters-Brüdern verhandelt und ist dabei zu keinem anderen Ergebnis gekommen als Timothy und ich in den vergangenen
Wochen. Die sturen Böcke wollen einfach nicht verkaufen.
|184| Timothy hat Konstantin erklärt, dass mich keine Schuld an der Misere trifft. Mein Konzept hätte aufgehen können, aber leider
haben die Peters-Brüder und die insgesamt schlechte Marktsituation das verhindert.
Zwar habe ich Timothy nicht darum gebeten, mir die Absolution zu erteilen, aber sein Plädoyer bewahrt mich davor, von Konstantin
und seinem krankhaften Misstrauen verfolgt zu werden.
Nach Lage der Dinge haben wir zwei Optionen. Entweder wir fahren einen rigorosen Sparkurs, oder wir suchen einen Käufer für
den Verlag. Ich persönlich bevorzuge Letzteres, denn ich habe keine Lust, die Hälfte der Belegschaft zu metzeln und mich
in Scharmützeln mit Gläubigern aufzureiben. Außerdem würden wir in einem Jahr wieder vor den gleichen Problemen stehen. Dass
der Markt sich ändert, ist nicht zu erwarten. Wir können den Abwärtstrend also verzögern, aber nicht aufhalten. Bei einem
Verkauf hätte ich die Chance, nach Abschluss der Verhandlungen noch eine Weile beratend tätig zu sein, um dann halbwegs
elegant meinen Hut zu nehmen. Und vielleicht würde ich dann ja tatsächlich mal ein paar Monate Pause machen.
Auf dem Weg zum Parkplatz holt Konstantin mich ein.
«Dr. Schuberth, bitte warten Sie noch einen Moment!»
Ich lasse die Türen meines Wagens aufschnappen, werfe meinen Koffer hinein und wende mich Konstantin zu.
«Ich habe gerade mit Mutter telefoniert. Sie möchte morgen mit Ihnen unter vier Augen sprechen und erwartet Sie zum Frühstück
im Hotel», erklärt Konstantin und drückt mir eine Mappe in die Hand. «Dieses Kurzkonzept habe ich ihr vor dem Abflug zukommen
lassen. Ich wollte es erst morgen in der Sitzung vorstellen. Aber es ist besser, wenn Sie es lesen, bevor Sie mit Mutter
sprechen.»
|185| Ich merke, dass ihm nicht ganz wohl in seiner Haut ist. «Was steht denn Geheimnisvolles drin?», frage ich beiläufig.
Konstantin verzieht missmutig das Gesicht. «Wenn ich Ihnen das in wenigen Sätzen erklären könnte, dann hätte ich es nicht
aufschreiben müssen.»
Ich bin müde und habe keine Lust auf Diskussionen. «Okay», erwidere ich und will mich abwenden.
Konstantin interpretiert meine Reaktion als ein Zeichen von Verärgerung. Er seufzt. «Also gut. Es ist ein Konzept zur Kostenreduktion»,
erklärt er mit sichtlichem Unbehagen. «Ich wollte es Ihnen vor dem morgigen Gespräch geben, weil es auch Sie persönlich
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