Dämonen-Reihe Bd. 4 Traumsplitter
unendlichen Ozean dahinter.
Du musst eintauchen, um aufzutauchen , erklärt mir die Stimme ungeduldig.
Ja, wispere ich. Aber werde ich nicht verloren gehen? Der Ozean ist überwältigend groß.
Und ich bin so klein.
Als nur Schweigen folgt, schließe ich die Augen und lasse mich fallen …
-
Ella erwachte, laut nach Luft schnappend. Ihre Lungen! Die Wassermassen drohten sie zu erdrücken, sie ertrank, sie …schlug in ihrer Panik gegen den Brustkorb eines älterenHerrn, der auf ihrer Bettkante saß und sie ungeduldig anstarrte. »Herrgott, Mädchen!«, herrschte er sie an. »Geht das nicht ein wenig würdevoller? Wie ein Fisch auf dem Trockenen.«
Unzugänglich für solche Schmähungen tastete Ella auf dem zerwühlten Bett in ihrem
Schlafzimmer herum, immer noch der festen Überzeugung, der Grund müsse sich jeden
Augenblick in Wasser verwandeln, das sie zu verschlingen drohte. Dieser Eindruck
verflüchtigte sich jedoch in dem Moment, als sie auf ihren eigenen Körper tappte. Auf die schlafende Ella, die zusammengerollt wie ein Embryo dalag, mit flatternden Lidern und an der Schläfe klebendem Haar.
Ob ich wohl immer solche Schniefgeräusche von mir gebe, wenn ich schlafe – oder nur, wenn ich zu ertrinken glaube?, fragte sie sich.
Unterdessen massierte der ältere Herr die Stelle, wo Ellas Faust ihn getroffen hatte. »Das war wirklich ein unangenehmer Traum, den Sie da ausgebrütet haben«, stellte er fest. »Da denkt man immer, das Meer als Symbol für das Unbewusste sei langsam einmal ausgereizt
… und ehe man sich’s versieht, schießt einem Salzwasser in die Nebenhöhlen. Was ist bloß so verführerisch daran, schon halb zu Tode gerittene Bilder der Traumwelt zu benutzen?
Nein, bemühen Sie sich nicht, natürlich erwarte ich nicht wirklich eine Antwort von Ihnen.
Wahrlich nicht.« Das war gut, denn Ella war jenseits von einer sinnvollen Antwort, während sie sich selbst beim Schlafen zusah. »Schön. Wenn wir dann so weit wären, diesen
Ozeanquatsch hinter uns zu lassen, um uns den entscheidenden Träumen dieser Nacht
zuzuwenden? Ich habe nämlich noch das eine oder andere in eigener Sache zu erledigen, als mir unbekannte Damen in ihrem Traum zu rufen. Ohnehin eine Frechheit von Bernadette, mich um einen solchen Gefallen zu bitten.«
»Dass Sie diese Aufgabe übernommen haben, war ja wohl auch nicht ganz
uneigennützig«, unterbrach Ella den älteren Herrn. »Schließlich ist es doch nur von Vorteil für Sie, wenn Bernadette wieder als Bollwerk fungiert, das Sie vor den Übergriffen des Inkubus schützt. Ansonsten sind Sie als Nächster an der Reihe, und ich bezweifle, dass Sie einen passenden Traum in Ihrer Westentasche verstaut haben, um Ihre Schulden bei dem Dämon zu begleichen. Sie waren es doch, der Bernadette den Weg in die Traumwelt gezeigt hat.
Also tragen Sie auch mit an der Verantwortung.«
»Freches Ding. Immer sind es die frechen Dinger, die es so weit schaffen. Erst Bernadette, die ihre Gabe für ihren persönlichen Vorteil benutzt, um ihre Agentur aufzubauen. Und jetzt muss ich mich mit so einem Früchtchen herumplagen.« Der ältere Herr schnaufte
aufgebracht. »Na, wenn du so schlau bist, dann weißt du ja vermutlich auch von allein, wie es jetzt weitergeht.«
»Das weiß ich tatsächlich, Sie brauchen sich also nicht zu bemühen. Ich weiß, was man zu tun hat, wenn man dem Inkubus in seinem Traum begegnen will: Man muss ihn treffen
wollen. Es reicht, eine gedankliche Einladung auszusprechen. Nichts leichter als das.«
Unter anderen Umständen hätte Ella den älteren Herrn mit seinem eisgrauen wallenden
Haar und der Intellektuellenbrille durchaus interessant gefunden – und irgendwie kam er ihr sogar bekannt vor –, aber jetzt fehlte ihr die Zeit für Derartiges. Der Wecker auf der Kiste neben ihrem Bett verriet, dass sie bereits vor knapp drei Stunden eingeschlafen war. Sie wusste nicht, wie lange die Wirkung der Schlaftabletten anhielt, die sie nach ihrer Rückkehr in die Villa eingenommen hatte. Kimi hatte gut vier Stunden geschlafen, und sie glaubte nicht, dass sie auf mehr kommen würde. Dafür war viel zu viel Adrenalin in ihrem Blutkreislauf.
Ohne den älteren Herrn mit dem konsternierten Gesichtsausdruck zu beachten, ging Ella zum Fenster und atmete die nach Jasmin und würzigem Laub duftende Abendluft ein. Noch während ihr die Brise entgegenwehte, verwandelte sich der Luftzug in ein Seidenbanner, auf das Blütenblätter und Pollenflug gestickt waren.
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