Dämonen-Reihe Bd. 4 Traumsplitter
Irrsinn, von dem sie befallen war, abklang. Unsicher stand sie auf und stieß dabei mit Gabriel zusammen, der sich in diesem Moment zu ihr herunterbeugte. Mit einem leisen Schrei ließ sie sich auf den Stuhl zurückfallen, während Gabriel beschwichtigend die Hände hob.
»Keine Sorge, ich wollte nur … du sahst aus, als würdest du gleich zusammensacken. Du bist aschfahl im Gesicht. Ich habe dir eindeutig zu viel zugemutet, und jetzt komme ich noch mit so was an. Wie kann man nur so ein Idiot sein?«
Ella sah nur kurz zu ihm hoch, doch dieser eine Blick war schon zu viel. Sie konnte es kaum ertragen, wie atemberaubend schön er mit diesem besorgten Ausdruck auf seinen
Zügen war – trotz der Spuren von Erschöpfung und der Bartstoppeln. Dabei hatte sie
gedacht, dass es Gabriels sonniges Gemüt sei, das ihn so umwerfend aussehen ließ. Jetzt musste sie sich eingestehen, dass dieser betretene und ungewohnt verletzliche Ausdruck ihn noch unwiderstehlicher machte.
Ich werde ihn nie wieder ansehen dürfen, sonst verliere ich vollkommen den Verstand. Was macht er bloß mit mir?
»Es tut mir leid, ich hätte den verfluchten Inkubus nicht erwähnen dürfen. Kein Wunder, dass du überfordert bist. Ich baue einen Mist nach dem anderen.« Gabriel ging in die Hocke und legte beide Arme auf die Stuhllehnen, sodass Ella wie von ihm umfangen war.
»Wenn es nur der Inkubus wäre, obwohl der allein ausreicht.«
Ellas Stimme machte Sprünge, als habe sie sich soeben die Seele aus dem Leib geweint.
»Ich wünsche mir mittlerweile inständig, es läge an dem Wissen, dass es ihn gibt, und ich mir deshalb selbst entgleite. Er sollte es sein, der mich in den Wahnsinn treibt, mich jede Sekunde beschäftigt, stattdessen zerbreche ich mir den Kopf, warum es so wehtut, dass du
…« Sie brach ab. Sie durfte kein Wort mehr sagen und vor allem nicht länger bleiben. Sie nahm alles, was sie an Selbstbeherrschung aufbringen konnte, zusammen und schob
Gabriel von sich weg.
Er wich zwar zurück, aber es war ihm anzumerken, dass er seine Arme lieber wie einen sicheren Schutzwall um sie liegen gelassen hätte. »Wenn es nicht allein am Inkubus liegt, dass du durcheinander bist, dann …«
»Ich kann jetzt nicht darüber reden. Bitte.«
Blindlings stürzte Ella davon.
Sie war nach Sandfern zurückgekehrt, damit der Zauber wieder in ihr Leben einzog, ohne den sie sich unvollständig fühlte. Doch anstelle eines verwunschenen Gartens hatte sie einen verwunschenen Prinzen gefunden. Und leider nahm er einfach keine Ähnlichkeit mit einem Frosch an, obwohl sie ihn bereits geküsst hatte. Märchen ließen sich eben nicht auf den Kopf stellen. Ihr Prinz war verwunschen, das musste sie akzeptieren.
Kapitel 19
Freundschaftsdienst
Selbst wenn man halb betäubt von einem inneren Schmerz war und derartig
verwirrt, dass man kaum mitbekam, wie die nackten Fußsohlen sich an spitzen Steinen und Glassplittern auf dem Weg blutig liefen, war es eine weite Strecke vom Hügel hinab bis in die Stadt. Trotzdem fühlte Ella sich besser, als sie vor dem Haus, in dem sich Noras WG
befinden musste, stehen blieb.
Nach ihrer Flucht vor Gabriel hatte sie beschlossen, dass es nur einen Menschen gab, der ihr jetzt helfen konnte: ihre einzige Freundin in Sandfern. Kurz hatte sie auch an Sören gedacht, doch seit Livs vorgestrigem Auftritt als böse Königin hatte sie von ihrem Bruder nur eine hastig getippte SMSbekommen, dass er auf Geschäftsreise sei und ihr einen deutlich kleineren Betrag als abgesprochen für die Handwerkerkosten überwiesen habe. So oder so wäre sie nicht zu Sören gegangen – wie hätte er begreifen sollen, welcher Sturm in ihr tobte?
Nein, das konnte nur Nora, denn sie hatte Ähnliches erlebt.
Während Ella die Klingelschilder durchsah, stellte sie fest, dass sie keine Ahnung hatte, wie spät es eigentlich war. Sie hatte jegliches Gefühl dafür verloren und offenbar auch für manches andere, wie zum Beispiel einen anständigen Aufzug. Auf der heimischen Terrasse mochten ein mit Wandfarbe besprenkeltes Top und giftgrüne Frotteeshorts zu nackten Füßen angehen, aber in der Öffentlichkeit war das schon heikel. Außerdem waren ihre Haare
garantiert vom Laufen zerzaust und ihre Augen verquollen. Sie konnte sich zwar nicht entsinnen, geweint zu haben, aber ihre gereizten Lider fühlten sich verdächtig danach an.
Nachdem Ella endlich das richtige Klingelschild gefunden hatte, zögerte sie. Was war, wenn Nora gerade nicht gestört
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