Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
R'shiel gesehen?«
»Nein.« Tatsächlich hatte Tarjanian sie seit Tagen nicht mehr gesehen, seit jenem Abend nicht, an dem vor dem Gutshaus ihr Zank sich mit einem Mal in etwas völlig anderes verwandelt hatte, das in seiner Plötzlichkeit zu peinlich und zu verwirrend gewesen war, um nur darüber nachzudenken. Er vermutete, dass sie ihn mied. In den weithin verzweigten Kellergewölben unter dem Gebäude war ihr dies ein Leichtes. Er fragte sich, was Brakandaran von ihr wollte. Offenbar durchschaute der Seemann R'shiel ohne Mühe und schenkte ihr im Allgemeinen wenig Beachtung. »Warum?«
»Ich frage aus Neugierde. Es ist wohl sinnvoller, ich frage Ghari. Womöglich weiß er, wo sie steckt.«
»Ghari ist gestern nach Testra aufgebrochen«, stellte Tarjanian fest. »Du glaubst doch nicht, sie sei mit ihm fortgegangen?«
»Falls doch, mögen die Götter uns beistehen«, äußerte Brakandaran halblaut. »Aber über die Maßen wichtig ist es nicht. Bestimmt kehrt sie wieder.«
»Gewiss«, stimmte Tarjanian zu. Dennoch gab ihm Brakandarans unerwartetes Interesse an R'shiel einen Grund zum Grübeln; noch stärker jedoch beunruhigte ihn R'shiels Abwesenheit. Und während er Brakandaran zum Haus folgte, verstörte Tarjanian ein neuer Gedanke.
Brakandaran hatte behauptet, sich an die vergangene Säuberung zu erinnern.
Die letzte Säuberung, die seitens der Schwesternschaft gegen das medalonische Heidentum durchgeführt worden war, hatte während der Amtszeit der Ersten Schwester Brettans stattgefunden: vor fast einhundertzwanzig Jahren.
22
Schweigsam ritten Tarjanian und Brakandaran nach Testra. Sie hatten den Aufbruch so gelegt, dass sie zwei Stunden vor der Mittagsstunde dort eintreffen würden. Bevor sie sich mit Draco trafen, wollte Tarjanian die Umgebung in Augenschein nehmen. Es mochte sein, dass er in eine Falle ging, aber blindlings hineinzutappen gedachte er nicht. Neben ihm ritt Brakandaran mit der Mühelosigkeit eines Mannes, der im Sattel aufgewachsen war, über die von Bäumen gesäumte, mit Sonnenlicht gesprenkelte Landstraße, eine Tatsache, die Tarjanians Überlegungen einmal mehr auf die Fragen lenkte, die ihn hinsichtlich dieses Menschen beschäftigten. Allem zufolge, was er wusste, war Brakandaran Seemann. Seeleute gaben selten gute Reiter ab. Die meisten Seemänner blieben bei Pferden auf Abstand und betrachteten sie mit einer Art respektvoller Ablehnung. Auch sein reiterisches Können war ein Teil des Rätsels, das Brakandaran verkörperte.
»Für einen Seemann reitest du vorzüglich«, bemerkte Tarjanian. Inzwischen hatte der Wind aufgefrischt; kühle Böen zerrten an Tarjanians Mantel. Der helle Sonnenschein täuschte, denn er spendete kaum Wärme.
Brakandaran schmunzelte und hob die Schultern. »Ich bin nicht immer zur See gefahren.«
Zwar hatte Tarjanian nicht im Ernst mit einer wirklich aufschlussreichen Antwort gerechnet; trotzdem ärgerte er sich über die knappe Auskunft.
»Du bist erst vor kurzem aus Hythria gekommen, stimmt's?«, fragte er, sobald er beschlossen hatte, einiges über diesen Mann in Erfahrung zu bringen, ehe sie in Testra eintrafen. Schließlich mochte davon, bevor der Tag endete, sein Leben abhängen. Er wollte wissen, ob er sich auf den Menschen verlassen durfte, den er zum Begleiter hatte.
»Ja«, lautete Brakandarans einsilbige Antwort.
»Was hast du dort getrieben?« Tarjanian hoffte, dass sein Tonfall den Eindruck vermittelte, er führe bloß eine harmlose Unterhaltung. Allerdings war anzunehmen, dass Brakandaran merkte, worauf er es absah. Unversehens jedoch lächelte der Altere.
»Ich habe mich als Ratgeber der Magier-Gilde betätigt«, sagte er.
Ein wenig unangenehm war es Tarjanian nun doch, so leicht durchschaubar zu sein. »Tja, ich muss gestehen, ich habe wohl eine solche Antwort verdient. Vergib mir, ich wollte nicht in deiner Vergangenheit bohren.«
»O doch, genau das war Eure Absicht. Der Wissensdurst, was mich betrifft, lässt Euch keine Ruhe. Ich werde Euch, wenn Euch so daran gelegen ist, gern Auskunft geben. Welche Fassung möchtet Ihr hören, die glaubhafteste Antwort oder die Wahrheit?«
Tarjanian musterte den Alteren erstaunt von der Seite. »Besteht dazwischen ein Unterschied?«
»Ein gewaltiger Unterschied«, gestand Brakandaran. »Ich bezweifle jedoch, dass Euch die Wahrheit überzeugt. Die glaubhafte Erklärung ist viel leichter zu verkraften, besonders für einen Mann, der solche Vorurteile hegt wie Ihr.«
Inzwischen fühlte sich
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