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Daemonenmal

Daemonenmal

Titel: Daemonenmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilith Saintcrow
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die ich mit jedem bisschen Energie fütterte, das ich noch hatte, während ich einen weiteren langen Flur hinabschritt und durch die Hintertür der Gefängnisverwaltung verschwand. Hinaus ins kalte, klare Licht der Morgendämmerung.

10
     
    Auf einer der hinteren Bänke in der Kirche der Heiligen Jungfrau kniete ich nieder und legte die Stirn gegen das harte Holz der Lehne vor mir. Flackernde Kerzen verströmten schummriges Licht, und trotz der sengenden Hitze des Vormittags draußen war es hier drinnen kühl und still. Mein Pager schwieg endlich.
    Reiß dich zusammen, Jill.
    Jetzt war nur eins zu tun, und ich schob es immer weiter vor mir her. Ich schluckte und hörte, wie es in meiner trockenen Kehle schmatzte.
    „Du, der Du …“, begann ich und hörte Michails Stimme neben mir, wie damals, als er mir das Gebet beibrachte. „Du, der Du mich …“
    Ich brachte die Worte nicht über die Lippen, stattdessen spulte ich sie in meinem Kopf ab, während ich meine zitternden Hände zu Fäusten ballte und gegeneinanderpresste.
    Du, der Du mich auserkoren hast, das Böse zu bekämpfen, steh mir bei und halte Deine schützende Hand über mich. Gewähre mir Kraft im Kampf, ein ehrenhaftes Leben und einen sauberen, schnellen Tod, wenn meine Zeit gekommen ist. Halte Deinen Schild über mich. Mein Schwert möge Deine Kinderbeschützen und Deine Gerechtigkeit auf Erden durchsetzen.
    Ganz schön viel verlangt, sogar von Gott. Wenn es zum Kampf zwischen Gott und der Höllenbrut kommen sollte, würde ich mich wohler fühlen, einen guten Vorrat an Patronen in petto zu haben.
    Das ist Blasphemie, Jill – egal, wie sehr es helfen mag. Aber du bist ja eh schon verdammt, stimmt’s. Also, was soll’s?
    Ich hob den Kopf. Das Kruzifix über dem Altar gehörte zu den dezenteren Varianten, nicht wie die schmerzverzerrten, schreienden Monstrositäten, die ich in manch anderer Kirche schon gesehen habe. Dieser Christus sah nahezu gelassen aus, als hätte er rein gar keinen Schmerz gespürt, als wäre der Tod eine Wohltat und nichts, gegen das man sich mit Händen und Füßen wehren müsse.
    Vielleicht hat Michail genau das in mir gesehen. Ein Wehren mit Händen und Füßen. Mit Zähnen und Krallen – so wie ein Werwesen. Ich stinke also nach Höllenbrut, ja? Na und – es sorgt dafür, dass ich die Unschuldigen beschützen kann. So gut es eben geht.
    Das war der Haken an dem Gebet, das Michail mir beigebracht hatte. Selbst wenn du es nur stumm vor dich hinsagst, hatte es immer den gleichen Effekt – man glaubte schließlich wirklich daran.
    Dämlich, schnaubte er immer nach ein paar Gläsern Wodka. Helden nennen sie uns. Die Tölpel.
    Aber daran wollte ich nicht denken. Wenn ich erst mal anfing, darüber nachzugrübeln, wie sehr ich Michail vermisste, würde ich Perry womöglich versehentlich eine Angriffsfläche bieten. Und das wollte wirklich niemand – außer Perry selbst.
    Ich versuchte es noch einmal. „Du, der Du …“, flüsterte ich mit tauben Lippen. „Du, der …“
    Ich konnte das mittlere Stück des Gebets einfach nicht formulieren. Aber eigentlich war auch nur ein Teil wirklich wichtig. Ich wisperte ihn in meine verschwitzten Hände hinein, die ich zum Gebet verschränkte. „O Herr, mein Gott, lass mich nicht im Stich, wenn ich den Legionen der Hölle gegenübertrete.“
    Ich bin schon oft genug verlassen worden und hob die Schnauze voll davon, Gott. Meinst du, du kannst für mich ein Auge zudrücken? In meinem Hirn ging es drunter und drüber wie in einer Waschmaschine.
    Vielleicht solltest du was gegen diese Anspannung unternehmen, Jill. Aber was?
    Ich ließ den Kopf wieder sinken und holte tief Luft, atmete Weihrauch und Holz und Kerzenrauch, diese ganz spezielle Mischung, die man nur bei den Katholiken findet. Pack ordentlich Schuld obendrauf, die Lineale, den Geruch von Wachs und Wein, und du bekommst als Ergebnis meine Kindheit. Zumindest den Teil davon, in dem mir das Beten wie ein Reflex eingebläut wurde.
    Als Jägerin war ich von Beichte und Abendmahl ausgeschlossen, denn die Sünde des Tötens wiederholte sich jede Nacht aufs Neue – und dann gab es da natürlich noch den Umgang mit den Lakaien der Hölle. Aber beten durfte ich, und man würde mich, dank Sondergenehmigung, in geheiligtem Boden begraben – sofern genug von mir übrig bleibt, das sich zu begraben lohnt.
    Anders läuft es, wenn ich kontaminiert sterbe. Oder aber, wenn ich – so wie Michail – lieber in Walhalla einziehen will, eingehüllt

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