Daemonenmal
davor sein, durchzudrehen, in den Abgrund zu springen und ihn mit Silber und Blei vollzupumpen. Ein Schuss auf diese Entfernung würde ihn töten, selbst wenn Werwesen weniger allergisch gegen Silber wären.
Und ganz nebenbei juckte es mich in den Fingern, irgendwas zu erschießen. Egal was. Wenn man von einem brutalen Kampf auf den nächsten lebt, wird daraus Gewohnheit – ein Verlangen, ein Instinkt, ein lebensrettender Reflex. Das Tier in einem besteht darauf, mit ausgefahrenen Klauen, Zähnen und allem Möglichen zuzuschlagen.
Saul muss den mörderischen Trieb in meinen Augen gesehen haben. Konnte ihn gar nicht übersehen.
Er erwiderte meinen Blick eine scheinbare Ewigkeit lang. Hinter ihm liefen hektische Schemen zusammen. Andere Werwesen. Ich hörte Schnappen, Gemurmel und heftige Flüche.
„Ist schon okay, Kätzchen.“ Saul klang gelassen, beruhigend. „Alles ist unter Kontrolle. Wir haben alles im Griff. Alles ist gut.“
Ich hob den Daumen. Ließ den Abzug los und hörte, wie er einrastete. Das winzige Geräusch war unsagbar laut. Die Narbe pochte, feuchte, giftige Hitze entströmte ihr. Ich hörte ein leises Schluchzen und bemerkte zu spät, dass es mein eigenes war.
Sauls Finger legten sich über die Waffe und schoben sie zur Seite. Als wäre es das Selbstverständlichste auf der ganzen Welt, packte er mich an den Schultern und zerrte mich von der Wand weg. Er legte die Arme um mich, und ein weiteres Mal ließ sein schnurrendes Grollen meine Knochen vibrieren. „Ganz ruhig“, flüsterte er. „Geht’s dir gut? Sag irgendwas.“
Meine Lippen waren aufgeplatzt, und mein Hals fühlte sich knochentrocken an. In der Feme hörte ich Donnergrollen.
Ein durchgeknallter Werfreak hat mich gerade durch den Fleischwolf gedreht. Das ist schon das zweite Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden, dass ich eigentlich hätte tot sein müssen. Tot. Trotz meiner Abmachung mit Perry hätte ich tot sein müssen. Am Verwesen. Weg.
Wahrscheinlich in der Hölle. Sehr wahrscheinlich sogar. Dort landen Jäger nun mal, in der Hölle.
Zumindest behauptet das die Kirche. Keine Beichte, kein Abendmahl und kein Himmel für die, die sich der Schattenseite stellen. Die Morde, die wir begehen, und die Verdorbenheit, die wir erleben, bleiben selbst im Tod noch an uns kleben. Bestandteil der kirchlichen Glaubenslehre seit 1427. Man hat diesen Punkt nicht geändert, trotz der Petitionen der Jäger.
Manchmal komme ich darüber ins Grübeln.
Ich zitterte, als hätte ich einen Krampfanfall. Ich riss mich mit aller Kraft zusammen, was mir frischen Schweiß aus den Poren trieb. „Verdammte Scheiße“, flüsterte ich. „Wo ist er hin? Wo steckt er?“
Saul verlagerte ein wenig das Gewicht und hielt mich noch fester. „Er ist Richtung Süden abgehauen. Ein ganzes Rudel Werwesen ist ihm auf den Fersen. Dominic ist auch dabei.“ Er verzog ganz kurz die Mundwinkel und meine Gedanken überschlugen sich.
Was macht er hier noch? Er sollte den Entarteten jagen. „Geh.“ Meine Lippen waren taub. „Du bist Fährtenleser. Geh.“
Ein Stromschlag schoss aus seinen Augen in meine, etwas, das in seinen Adern aufstieg und in meinen auf ein Echo stieß. Das Gefühl war so intensiv, dass ein Ruck durch mich hindurchging. Er hätte sich an die Verfolgung des Psychos machen müssen, der seine Schwester getötet hatte, stattdessen war er hiergeblieben, um sich um mich zu kümmern.
Warum?
Ich wusste es nicht, und es war mir auch egal. Dieses eine Mal blickte mir jemand in die Augen und sah durch die Mauer hindurch, die ich um mich herum aufgebaut hatte. Und ich hätte schwören können, dass auch ich hinter jede Mauer sehen konnte, die er jemals in seinem Kopf aufgebaut hatte. Und dass etwas in mir – etwas, das tief vergraben ruhte, etwas Geschundenes und Gequältes, das trotz allem stark war – ihn erkannte.
Ihn kannte. Irgendwie.
Was zur Hölle ist mit mir los?
„Bin gleich wieder da.“ Er stand auf, ließ die Waffe los und verschwand durch die zerschmetterte Tür hinaus in den Garten. Einen kurzen Moment lang war sein Schatten wie ein Scherenschnitt gegen das Grau einer von Blitzen erhellten Morgendämmerung. Elektrizität lag in der Luft.
Ich schloss die Augen. Sturm im Anzug. Bricht wahrscheinlich am Nachmittag los. Ich kann ihn fühlen.
Warum hat er das gemacht?
Das Kauderwelsch plappernde Tier in mir scherte sich nicht darum. In meinen Adern rauschte das Blut, und meine Haut quietschte unter dem trocknenden Schweiß und
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