Dämonisches Tattoo
einfach nur eine gute Schauspielerin. Dann jedoch fiel ihm etwas anderes auf.
»Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie das Foto in einem Ihrer Artikel verwendet hätten.«
»Habe ich auch nicht.«
»Warum nicht?« Mit diesem Bild wäre ihr unglaubliche Aufmerksamkeit sicher gewesen, die Auflage ihres Blattes wäre in die Höhe geschnellt und ihr Name schlagartig bekannt geworden. Dieses Foto war Tausende von Dollar wert.
Sie griff nach einer Kaffeetasse und schenkte sie voll. Als sie die zweite Tasse zu sich heranzog und den Kaffee eingießen wollte, hielt sie inne. Die Kanne schwebte in der Luft, ein Tropfen perlte über den Rand nach unten. »Es wäre nicht richtig gewesen«, sagte sie leise. »Das hätte ich der Familie des Opfers nicht antun können.«
»Sie haben tatsächlich ein Gewissen.«
»Ich bin neugierig und ich sammle Informationen, aber es gibt Grenzen, zumindest für mich.«
»Darüber bin ich sehr froh.« Es war seltsam. Mit jeder Stunde, die sie länger miteinander verbrachten, rückte das Bild, das er anfangs von ihr gehabt hatte, weiter in die Ferne. Von Zeit zu Zeit, wie gerade eben beim Anblick des Fotos, erlitt er einen Rückfall, doch ihre Worte hatten es geschafft, seine Zweifel auszuräumen. Die Frau, die ihn an den Tatorten mit Fragen überschüttete, war nichts weiter als eine Rolle, die sie spielte, um ihren Job zu erledigen.
Kein Wunder, dass ihr Redakteur ihr die Story entzogen hat.
Nach allem, was er in den letzten beiden Tagen beobachtet hatte, wurde ihm klar, dass sie zwar eine gute und talentierte Journalistin war, ihr allerdings der nötige Killerinstinkt fehlte. Ein Gewissen war in diesem Job nur hinderlich. Es war nicht der richtige Beruf für sie – und um ehrlich zu sein, es freute ihn, dass sie nicht die kalte, abgebrühte Reporterin war, die sie zu sein vorgab. Da war es endgültig dahin, das Bild der karrieregeilen Reportertussi, die für eine gute Story über Leichen ging – und er brauchte jetzt dringend eine kalte Dusche.
Der Stuhl schrammte über den Teppich, als er aufstand. Plötzlich wurde ihm schwindlig, er griff nach der Tischkante, um sich festzuhalten, doch der Tisch war mit einem Mal ebenso verschwunden wie der Raum um ihn herum.
16
Er breitete die Fotos der Frauen vor sich auf dem Tisch aus und brachte sie in die Reihenfolge, nach der er sie »abarbeiten« würde, als die Gesichter vor seinen Augen verschwammen. Er richtete den Blick auf die gegenüberliegende Wand und blinzelte. Seine Sicht klärte sich wieder, doch sein Kopf fühlte sich an, als hielte ihn jemand fest. Ein Gefühl, als müsse er ein zusätzliches Gewicht tragen.
Er griff nach seiner Kaffeetasse und seine Hand zitterte, als er sie an den Mund führte, um einen kräftigen Schluck zu nehmen und die Unruhe hinunterzuspülen, die sich in ihm breitmachte. Der Kaffee war stark und kalt und löste den Nebel auf, der sich über seinen Verstand gelegt hatte.
Etwas Ähnliches hatte ihn neulich beim Rasieren überfallen – das Gewicht eines zweiten Geistes – und dann war da diese Stimme in seinem Kopf gewesen. Sie hatte verzerrt und hallend geklungen, trotzdem war er sicher, dass es sich dabei um die Stimme des FBI-Agenten gehandelt hatte.
Auch beim zweiten Mal fühlte es sich eigenartig an, seinen Körper nicht für sich allein zu haben, doch auch wenn er sich der Anwesenheit des anderen bewusst war, beeinträchtigte sie ihn nicht mehr als das Wissen um einen Parasiten, der sich in seinem Körper angesiedelt hatte. Im Gegensatz zum letzten Mal traf ihn das Ganze diesmal nicht unvorbereitet.
Nach dem Zwischenfall im Badezimmer hatte er Nachforschungen angestellt. Ihm war wieder eingefallen, was er in Jane Mercers Garten gehört und gesehen hatte – der Indianer, Cassells Worte über den Geist des Jägers. Dem Internet sei Dank, hatte er inzwischen eine sehr genaue Vorstellung davon, was vor sich ging. Allerdings hatte er bis eben noch gehofft, dass er mehr in der Sache gesehen hatte, als tatsächlich dahintersteckte. Jetzt jedoch wusste er, dass er keinen Hirngespinsten nachgejagt hatte.
Sie waren miteinander verbunden.
Er wusste jetzt nicht nur, womit er es zu tun hatte, sondern auch, dass er nichts dagegen unternehmen konnte – aber er konnte die Spielregeln bestimmen. Denn so, wie Agent Ryan in seinem Kopf war, konnte er lernen, in den Kopf des Agenten einzudringen, und mit ein wenig Glück und der Hilfe des alten Indianers konnte es ihm gelingen, Agent Ryan zu
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