Dämonisches Tattoo
kontrollieren.
Auf der Suche nach weiteren Informationen, Dingen, die im Internet lediglich angedeutet wurden, war er vergangene Nacht nach Tombesdale Point, ins Reservat der Nidwaya-Indianer gefahren. Er hatte versucht mit William Quinn, dem Stammesältesten, zu sprechen. Der Mann, der so knorrig wie eine alte Eiche aussah, hatte sich sein Anliegen zwar angehört, ihn dann jedoch abgewiesen.
Ein alter Indianer würde seine Pläne nicht durchkreuzen!
Er hatte das Reservat verlassen, war aber nach Einbruch der Dunkelheit noch einmal zurückgekehrt. Das Haus des Indianers lag am Ortsrand, sodass es nicht schwierig war, es unbemerkt zu erreichen. Der Alte hatte auf seiner Veranda gesessen, als er sich von der Seite herangeschlichen und ihn mit einem in Chloroform getränkten Tuch betäubt hatte. Trotz seines Alters war William Quinn ein ziemlicher Brocken. Ihn zum Wagen zu schleifen war schon nicht einfach gewesen, der schwierigste Part hatte jedoch darin bestanden, Quinn in den Kofferraum zu wuchten. Der Mann war schwer wie ein Ochse.
Anfangs hatte sich der Indianer störrisch gezeigt und seine Mithilfe verweigert. Erst nachdem er erfuhr, mit wem er es zu tun hatte und was seine Familie erwartete, wenn er sich weiterhin stur stellte, war sein Widerstand geschwunden. Dass der Mann nun wusste, wer er war, bedeutete natürlich, dass er ihn langfristig nicht am Leben lassen konnte. Solange er jedoch nicht alle Antworten hatte, wurde der Indianer noch gebraucht. Das Versteck, in dem er den Mann festhielt, war das perfekte Gefängnis, die Wände gemauert, die Tür aus Eisen. Niemand würde seine Hilferufe hören und es gab kein Entkommen.
Im Laufe der Nacht, nachdem der Indianer begriffen hatte, dass ihm keine andere Wahl blieb, als mit ihm zusammenzuarbeiten, hatte der Mann ihm einige interessante Dinge verraten. Mit einem Ritual hatte alles begonnen, ein Ritual würde alles in eine Richtung lenken, die er haben wollte.
Kontrolle.
Er war gespannt, ob es ihm gelingen würde, Agent Ryan dazu zu bringen, Dinge zu tun, die er ihm einflüsterte. Es würde Spaß machen, mit dem Agenten zu spielen. Er hatte sich einmal mit ihm unterhalten und Agent Ryan hatte den Standpunkt vertreten, dass eine gewisse Veranlagung in Form einer psychischen Störung vorhanden sein musste, damit jemand zum Mörder wurde – lediglich Affekthandlungen oder Taten unter dem Einfluss von Drogen und Alkohol hatte er ausgeklammert. Er hatte dem Agenten widersprochen und die These aufgestellt, dass unter bestimmten Umständen jeder zum Mörder werden und es genießen konnte – wobei er den Part mit dem Genießen nicht laut ausgesprochen hatte.
»Was ist mit Menschen, die töten, um ihre Familie zu schützen?«, hatte er nachgebohrt.
»Das ist eine Extremsituation«, widersprach der Agent, »aber auch hier gibt es zwei Reaktionen. Die einen, die tatsächlich alles tun, um ihre Familien zu retten, und jene, die den Kopf einziehen und warten, bis die Gefahr von selbst vorübergeht. Letzteren fehlt die Veranlagung, grausame Dinge zu tun. Selbst dann, wenn es womöglich ihren eigenen Tod oder den ihrer Familien bedeutet, würden sie nicht darüber hinausgehen, mehr als einen halbherzigen Angriff zu wagen. Die meisten Rettungsversuche würden trotz allem nur daraus bestehen, den Täter mit Worten davon zu überzeugen, von seiner Tat abzulassen.«
Es war ein interessantes Gespräch gewesen, mit noch interessanteren Inneneinsichten. Er hätte beleidigt sein sollen, dass Agent Ryan ihm – ohne zu wissen, wen er vor sich hatte – eine psychische Störung attestierte, doch im Gegensatz zu Cassells denkwürdigem Pressestatement war Ryan sachlich geblieben, wo Cassell persönlich beleidigend geworden war.
Er hatte sich über Agent Ryan informiert. Normale Kindheit, normaler Werdegang bei der Polizei, später beim FBI. Keine dunklen Flecken in seiner Vergangenheit. Alles deutete darauf hin, dass bei ihm keine psychische Störung zugrunde lag. Bald schon würden sie herausfinden, ob ein normaler Mann wie Chase Ryan zum Mörder werden konnte. Er sollte erleben, wie es sich anfühlte, zu töten. Der erste Schrecken, gefolgt von der Erregung. Später nur noch ein Hochgefühl, das jeglichen Schrecken verlor.
Auch wenn er das Ritual noch nicht durchgeführt hatte, war Ryans Auftauchen in seinem Kopf eine wunderbare Gelegenheit, zu sehen, wie viel Einfluss er auf die Situation hatte. Der Agent sah durch seine Augen, sah, was er sah – er konnte also bestimmen,
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