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Dance of Shadows

Dance of Shadows

Titel: Dance of Shadows Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yelena Black
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Schrittfolgen aus, tanzte die Choreografie. Das Ganze hatte etwas Tröstliches an sich. Man konnte beim Tanzen Dinge ausdrücken, die man nicht mit Worten sagen konnte. Man konnte Emotionen fühlen, die man im Alltag nicht zu zeigen vermochte. Man konnte den Schurken besiegen, den Prinzen verführen, die Waldnymphen verzaubern, die wahre Liebe finden und von da an glücklich und zufrieden leben – einfach so.
    Ob die Tänzer auf der Bühne wohl auch manchmal das Gefühl hatten, dass das Ballett eine Befreiung von der alltäglichen Welt darstellte? Hatte das Tanzen für Margaret diese Bedeutung gehabt? Vanessa dachte daran, was Justin gesagt hatte – dass ihre Schwester ihrem Tagebuch so viel anvertraut hatte und dass sie sich hier nicht wohlgefühlt hatte. Vielleicht hatte Margarets Verschwinden gar nichts Geheimnisvolles an sich. Vielleicht war sie einfach   … geflüchtet.
    Als der letzte Akt endete und die Musik aufhörte, hatte sie das Gefühl, aus einem Traum zu erwachen. Die Tänzer verbeugten sich und überbrückten damit die Kluft zwischen ihrer Welt und der Welt der Zuschauer. Der Vorhang fiel, der Applaus ebbte ab, und Vanessa lehnte sich seufzend zurück.
    Ringsherum strömten alle den Ausgängen zu, nur Vanessa und ihre Mitschüler blieben zurück. Doch als TJ vom
grand jeté
der Tänzerin im letzten Akt schwärmte, lachte Blaine sie aus. »Ich bitte dich«, spottete er. »Jeder von uns hätte das zehnmal besser hingekriegt. Hast du nicht die ganzen Patzer gesehen, die sie gemacht hat?«
    Steffie nickte zustimmend, und obgleich Vanessa zugeben musste, dass auch sie ein paar kleine Fehler bemerkt hatte, fand sie das nicht so schlimm. Die Vorstellung war trotzdem umwerfend gewesen. Während die anderen weiterlästerten, hörte Vanessa zufällig, wie Anna Zep mit leiser, wütender Stimme Vorhaltungen machte. Sie stützte sich auf ihre Armlehne und versuchte zu verstehen, was die beiden sagten. Bevor sie jedoch etwas aufschnappen konnte, stand Anna auf. Sie bedachte Vanessa mit einem giftigen Blick und stürmte den Mittelgang hinunter und durch die Tür.
    »Kommt mir das nur so vor, oder hassen dich schon alle aus den höheren Klassen?«, fragte Steffie.
    »Nicht alle«, erwiderte Vanessa und deutete auf Zep.
    Steffie machte große Augen. »Das ist nicht dein Ernst«, raunte sie.
    Bevor Vanessa antworten konnte, kam Josef die Treppe hinauf und lehnte sich gegen die Brüstung. Im Gegensatz zu allen anderen hatte er sich für den besonderen Anlass nicht fein angezogen, sondern trug eine dunkle Jeans, ein schwarzes Shirt mit V-Ausschnitt und einen Wollschal, von dem Vanessa annahm, dass er für ihn das Äußerste an formaler Kleidung darstellte. Und nun riss er sich auch noch mit mürrischer Miene den Schal vom Hals.
    »Ich schätze, die Aufführung hat euch allen gut gefallen«, sagte erfast vorwurfsvoll. »Aber hoffentlich nicht
zu
gut, denn in nur vier Jahren werden viele von euch mit den Tänzern und Tänzerinnen von heute Abend um deren Rollen dort unten konkurrieren.« Er machte eine Geste zur Bühne hin. »Ich hoffe, ihr habt genau aufgepasst, wie sie getanzt haben.«
    In fast feierlicher Stimmung wanderten die Blicke der Ballettschüler durch den Theatersaal mit seinen Marmorsäulen, der Gewölbedecke und der Bühne, die oben mit reichen Stuckornamenten gekrönt war. Der Anblick des geschlossenen Vorhangs und der verlassenen Notenständer im Orchestergraben ließen Vanessa erschauern, denn ihr wurde auf einmal bewusst, dass sie vielleicht in ihre Zukunft blickte: Die Musiker würden ihre Instrumente stimmen, der Vorhang aufgehen, und Vanessa würde allein auf der Bühne stehen, vom Scheinwerferlicht angestrahlt. Und wenn die Musik begann, würde ein Tänzer von der Seite her die Bühne betreten   … All das war immer Margarets großer Traum gewesen, nicht ihrer, und dennoch gestattete sie sich zum ersten Mal den Gedanken, dass es auch einmal ihr Leben sein könnte.
    »
Bon«,
sagte Josef und unterbrach ihre Träumerei. »Gehen wir hinter die Bühne.«
    Durch einen schmalen, weiß gestrichenen Korridor, der zu den Garderoben führte, folgten sie ihm nach unten. Im Vorraum herrschte dichtes Gedränge   – Bühnenarbeiter, die hohe Stapel Kostüme balancierten, Hilfskräfte, die Essen und Wasser brachten, sowie Tänzer mit ihren stark geschminkten Gesichtern.
    Sie alle schienen Josef zu kennen. Er flüsterte einer jungen Frau etwas ins Ohr, und sie winkte alle nach hinten, wo eine Gruppe um den

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