Daniel Briester - Friedemann, A: Daniel Briester
dass es sich lohnen würde und erneut ließ sie ihre Fantasie weiterwandern.
Vor dem Gefängnis wartete sie, bis er eintraf und stieg erst aus, als er seinen Wagen verlassen hatte. Was für ein Mann, dachte sie dabei.
„Abermals viel zu schnell“, stellte er lakonisch fest. „Ein Wunder, dass Sie noch einen Führerschein haben.“
„Wieso? Weil Sie nicht Auto fahren können? Nicht mein Problem, gehen wir lieber hinein. Ich habe schließlich nicht den ganzen Tag Zeit.“
Sie lief neben ihm her, zeigte ihren Ausweis, unterschrieb einen Zettel, den man ihr hinhielt. Sie folgten einem Wachmann einen endlosen, schmalen Korridor entlang, ständig mussten Türen aufgeschlossen, zugeschlossen werden. Ein Klirren der Schlüssel, ein Knallen der Türen, Schlösser rasteten ein, Stimmengewirr. Graue Wände, die früher einmal weiß waren, graue Türen, Fenster mit Gitter, die nur wenig Tageslicht hereinließen, an der Decke helle, grelle Lichter. Eine triste, bedrückende Atmosphäre.
Sie zuckte zusammen, als irgendwo eine Tür laut zuknallte. Es hallte durch das Gebäude, klang irgendwie bedrohlich. Kälteschauer jagten über ihren Rücken. Dann fühlte sie eine Hand auf ihrer Schulter, leicht nur, aber sie war froh darüber. Es gab ihr etwas Zuversicht und das gefahrvolle Gefühl verschwand.
Sie wurden in einen Raum geführt, klein, grau, mit einem grauen Tisch, drei grauen Stühlen. Das Linoleum grau, gleichermaßen wie die Gitter an dem kleinen Fenster. Selbst der Himmel war heute grau.
„Der Untersuchungshäftling wird gleich gebracht“, riss sie die Stimme des Mannes aus ihrer Betrachtung. Sie nickte.
„Ich lasse euch allein und versuchen Sie nicht, mich zu hintergehen, verstanden?“
Wieder nickte sie. „Danke!“ Ihre Stimme leise, fast zaghaft. All das burschikose war verschwunden. Sie wirkte wie eine andere Person.
Schließlich war sie allein, wartete. Endlich öffnete sich die Tür, Volker trat ein. Sandra fiel ihn um den Hals und er klammerte sich an sie, kaum dass sie allein waren. Nur mühsam konnte sie die Tränen unterdrücken. Nach einer Weile lösten sich die Geschwister.
„Sandra, wann komm ich heraus?“
„Ich weiß es nicht. Ich tue das menschenmögliche, glaub mir. Es wird nicht lange dauern.“ Sie tätschelte seinen Arm. „Wie geht es dir?“
„Ich werde hier drinnen verrückt. Es ist die Hölle. Ich will meinen kleinen Schmetterling noch einmal sehen.“
„Ich weiß, deswegen will ich dich so schnell wie möglich herausholen, aber du musst mir helfen.“
Sie setzte sich, legte das Aufnahmegerät auf den Tisch.
„Ich durfte nur zu dir, wenn ich verspreche, dass ich unser Gespräch aufzeichne. Bist du einverstanden?“
Er nickte nur, setzte sich ebenfalls. Sandra blickte ihn an. Er sah blass, fast grau aus, so wie der gesamte Raum andere, bemerkte sie. Dunkle Schatten unter den blauen Augen, die sie weit aufgerissen ansahen. Seine Hände zitterten. Ihr Magen zog sich zusammen. Sie schaltet ein.
„Volker erzähl mir alles, was an dem Abend passiert ist, aber alles. Nur so können sie den Mörder fassen.“
„Nichts, ich war zu Hause, habe gegen sieben Uhr mit Mia telefoniert, aber sie hatte keinen Bock zu kommen, da sie Kopfschmerzen hatte. Danach habe ich Mama angerufen. Hab ein bisschen gepinselt, in die Röhre geguckt, bin auf der Couch eingeschlafen, wurde irgendwann wach. Das war so gegen halb zehn. Ich habe meinen Schmetterling angerufen und bin ins Bett. Ach, ja, du hast angerufen. Ende.“
Sie bemerkte, wie er mit den Tränen kämpfte.
„Dass ich angerufen habe, weiß ich und das ist unwichtig. Was wolltest du denn von der Alten?“
„Das geht dich wohl nichts an. Sie ist meine Mutter, die ich wohl anrufen kann.“ Die Stimme von Volker war eine Spur kühler geworden. „Rede nicht in dem Ton von ihr.“
„Diese Frau dröhnt jeden mit ihrem geistlosen Gequatsche zu, aber egal. Wann hast du diese … Mia das letzte Mal gesehen?“
„Am Morgen, aber das weißt du. Ich hatte bei ihr gepennt. Bin gegen zehn dort abgehauen, habe sie vor der Uni abgesetzt. Mittags haben wir uns getroffen.“
„Hattet ihr Streit?“
„Nein, nichts dergleichen. Super, wie immer. Wir haben am Abend vor- her darüber gesprochen, dass sie zu mir zieht. Wir haben Pläne gemacht, wo was hinkommt. Eine Zeichnung müsste in ihrer Wohnung sein. Wer tut so was? Wer bringt so eine süße, liebe, niedliche Frau um? Warum?“
Sein Tonfall war immer leiser geworden, die Tränen liefen ihm über die Wangen. Sandra
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