Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
Smaragdgrün und Rubinrot bis zu Purpurviolett.«
Ein kalter Schauder läuft über meinen Rücken.
»Das war nichts Schönes«, verteidigt sich Mum. »Es war … beängstigend.«
Keiner von uns sagt etwas dazu.
»Ich weiß auch nicht, was es bedeutet. Denn am Schluss habe ich Shantani gesehen.«
Den Sucher.
»Er sah mir direkt in die Augen und …«
»Und was, Mum«, frage ich leise.
»Er hat gelächelt. Nichts weiter.«
46° 59’ 51,086’ N, 110° 57’ 34,29 W
Mount Monarch
N och immer kann Emma kaum einen Schritt vor den anderen setzen, ihr linkes Bein schmerzt bei jeder Bewegung. Iye und Chilali haben sie links und rechts untergehakt und schleppen sie quer durch das Lager. Die Männer überragen sie um gut dreißig Zentimeter, sie ist ein Fliegengewicht in ihren Händen. Der Himmel ist so blau und die Sonne so hell, dass Emmas Augen zu brennen beginnen. Oder sind es nur Tränen, ist es nur ihre eigene Schwäche? Zornig schluckt sie sie hinunter, dafür hat sie alles Leid nicht auf sich genommen. Die vielen Jahre der Einsamkeit. Die Zeit in den Wäldern, im Grau der Städte, zwischen Menschen, mit denen sie nicht sprechen durfte, denn die Menschen konnten Spuren aufleben lassen, wie Fingerabdrücke waren Worte, wie Gerüche, die sich meilenweit ausdehnen, waren ihre Gefühle gewesen und Emma hatte alles entbehrt, alles, nur um die Engel nicht auf sich zu lenken. Sie war tot gewesen. Nein. Schlimmer als tot. Sie hatte alles Leben verloren, als sie siebzehn war und dieser irrsinnige Plan im Kopf ihrer Schwester entstand. Es konnte nicht gelingen.
Das Lager ist voller Leben. Frauen und spielende Kinder. Männer, die vor den Wagen sitzen. Sie blicken kaum auf, als Emma vorübergeht. Chakals Brüder bringen sie zur Mitte des Lagers, ein Irrgarten, der Weg kaum zu finden. Ein paarmal öffnen sie Barrieren, Brettertore, sie müssen sich mit aller Kraft gegen die Schneewehen werfen, um sie einen Spaltbreit aufzudrücken, und dann verschließen sie sie sorgfältig hinter sich. Manchmal ist es so eng, dass sie hintereinandergehen müssen. Emma hinkend, das Gesicht vor Schmerz verzerrt. Iye und Chilali aufrecht und wachsam. Sie weiß, was Chakal ihnen gesagt hat. Traut ihr nicht über den Weg. Sie ist klein und alt. Doch die Macht wohnt in ihr …
Endlich stoßen die Männer eine letzte Tür auf, die Tür zum ältesten Teil des Lagers, dem Teil, der schon vor so vielen Jahren hier in den Bergen entstanden ist, dass keiner der Wölfe mehr eine Erinnerung daran hat. Nicht einmal Cheb. Die Tür ist schwarz mit blutroten Ornamenten, eine Schrift, die Emma nicht zu lesen vermag, doch sie kennt ihre Bedeutung. Es ist der heilige Ort der Wölfe, der Ort, zu dem nur die Eingeweihten Zutritt haben. Zwei dunkle, riesige Wölfe halten hier Wache, ihr Blick ist kalt und undurchdringlich, Eis und Schnee klebten in ihrem dicken Brustfell. Wieder wird die Tür hinter ihnen geschlossen. Sie stehen auf einem festgetretenen Platz, über ihnen spannt sich der blaue Himmel und vor ihnen steht genau in der Mitte ein alter Wagen, der älteste, den Emma jemals gesehen hat. Rot und golden mit gewölbtem Dach und Schnitzereien am Kutschbock und an der Tür. Auch vor dem Eingang stehen zwei Wölfe.
»Schon gut«, sagt Emma böse, »ich werde ihm nichts tun.«
Sie strafft ihre Schultern und geht aufrecht zwischen ihnen hindurch und die zwei Trittstufen hinauf. Chilali und Iye bleiben zurück.
»Er ist nicht mehr bei Bewusstsein.« Chakal dreht sich nicht zu ihr um. Er kniet vor Chebs Bett. Emma bleibt an der Türschwelle stehen.
»Er wollte dich noch einmal sehen.«
Noch immer antwortet Emma nicht. Sie starrt nur hasserfüllt auf seinen Rücken. Cheb liegt im Halbdunkel. Die Fenster sind mit bunten Tüchern verhangen und der Geruch von Zimt und Weidenrinden liegt in der Luft.
»Aber nun ist es wohl zu spät.«
Sie atmet einmal tief ein und aus. Die Wände des Wagens sind mit Schwarz-Weiß-Fotografien gepflastert. Sie sieht nicht hin, weil sie Angst hat, Ernestine zu entdecken. Sie will sie nicht sehen, nicht so, wie sie damals war, als sie ihre Schwester zurückließ, gehen musste, heimlich, obwohl sie es nicht wollte. Obwohl es ihr das Herz zerriss.
»Warum hast du mich dann holen lassen, Chakal?«
»Weil er mein Vater ist und ich ihm diesen letzten Wunsch schuldig bin.«
Endlich dreht er sich zu ihr um und gibt den Blick auf Cheb frei. Seine Wangen sind eingefallen. Auf seiner Brust liegt der Stock mit dem silbernen
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