Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
vielen unbeschwerten Sommer, die ich so schmerzlich vermisst hatte. Für einen Moment lasse ich es zu, dass ich in seinen Wolfsaugen versinke, dass ich den Wüstenhund in ihnen sehe und die Jahre, die uns trennten, in denen Indie und ich ein normales Leben lebten, während Granny alle Vorbereitungen für diesen Tag traf.
»Jetzt sind wir zusammen …«, raunt er an mein Ohr. »Wir sind zusammen, um den Kreis zu schließen und das zu beenden, was Ernestine, Emma und Victoria so mutig begonnen haben. Weißt du, Ernestine hat immer daran geglaubt. Daran, dass ihr die Erwählten seid, dass sie recht behalten wird und dass alles, was sie getan hat, zu einem guten Ende führen wird. Sie hat fest daran geglaubt, dass wir zusammen hier stehen würden.«
»Sie wusste, dass sie uns nie mehr sehen würde«, flüstere ich und Diego nickt.
»Ja«, sagt er schlicht. »Aber all ihre Liebe schlägt nun in meinem Wolfsherz.«
38
Indie
W ir scheinen alle in der Wärme des Wagens zu dampfen. Die flackernde Kerze beleuchtet gespenstisch unsere Gesichter, Emmas Atem geht zu schnell. Eine rot-silberne Haarsträhne hat sich aus ihrem Dutt gelöst und hängt ihr wirr ins Gesicht. Sie wartet auf ihren Tod, kriecht die Gewissheit in meinen Körper. Sie wird uns nicht begleiten können auf unserem Weg in die Freiheit. Mit ihren letzten Kräften wird sie versuchen, uns zu initiieren. Gerade erst gefunden, wird sie uns verlassen. Unsere Blicke treffen sich, ihre Augen werden groß und ein leichtes Lächeln liegt auf ihren Lippen. Indie, scheint dieser Blick zu sagen. Hab keine Angst.
»Wir haben keine Zeit«, erklärt Miss Anderson abgehackt. Im Gegensatz zu ihrem üblichen Kostümchen-Outfit trägt sie einen Anorak mit pelzbesetzter Kapuze und eine helle Thermohose. »Das Böse ist nahe.«
»Die schnelle Version«, sagt Kat ruhig, obwohl sie auch eine Rastlosigkeit ausstrahlt und ihre Augen immer wieder zu dem kleinen Fensterchen des Wagens schweifen.
Ich schäle mich aus der nassen Jacke und lasse sie einfach fallen. Mit einer angedeuteten Verbeugung überreicht mir Emma ein weißes Gewand. Es ist ganz einfach, denke ich mir und die Worte von Granny erfüllen meinen Kopf. Ich sehe in Grannys klarblaue Augen. In ihr faltiges, von der Sonne verbranntes Gesicht. Umrahmt von grau gesträhntem langem Haar. Sie nickt mir zu. Dann steht Emma vor mir. Ihre ehemals roten Haare sind gezeichnet vom Alter, graue Strähnen durchwirken es wie einen edlen Stoff. Sie nimmt mein Gesicht in beide Hände. Ihr Mund berührt meine Stirn.
Von Hüterin zu Hüterin…von Anbeginn zu Anbeginn…von Frau zu Frau … geben wir das Geheimnis weiter. Das Wissen. Die Macht. Die Macht, sich dem Bösen zu widersetzen und das Gute hervorzubringen. Unser Schoß bringt neues Leben auf die Welt.
Kat stellt die zwei Döschen zu unseren Füßen auf, zündet in einer Schale eine getrocknete Pflanze an. Vorsichtig legt sie das Messer vor die brennende Pflanze. Der Rauch erfüllt den kleinen Raum, der Geruch scheint meinen Geist klar zu machen. Mit einer fließenden Bewegung zieht sich Dawna das weiße Gewand über ihren nackten Körper, es rutscht über ihre zierliche Taille zu ihren Hüften und schmiegt sich schließlich an ihre Oberschenkel, bis der Stoff sie wieder verhüllt. Wir sehen uns in die Augen.
Hast du mir verziehen?
Miss Anderson hat die Leitung des Rituals übernommen. Sie nickt Mum zu, die mit leiser Stimme beginnt, die lateinischen Worte zu murmeln, die schon von Anbeginn des Ordens die Mütter der Hüterinnen gemurmelt hatten. Eine tiefe Ruhe erfüllt mich, es ist in Ordnung. Es wird alles gut.
Die Geräusche vor dem Wagen lenken mich ab, das Lager ist von einer erneuten Unruhe erfüllt. Sind die Dunklen schon da? Wie ein Wirbelsturm nähert sich etwas. Wir hätten nicht hier sein sollen. Chakal hätte auf seinen Vater hören sollen, die Frauen und Kinder des Lagers schützen und mit den besten Kriegern die Hüterinnen zurück nach Whistling Wing führen. Wie ein Tornado nähert sich der Sturm des Bösen, ich spüre meine Narbe, aber ich habe keine Angst. Das Reinigungsritual auf Whistling Wing hat mich stark gemacht.
»Sie sollen gehen!«, meine ich, eine tiefe Stimme vor dem Wagen zu hören. »Wir werden sie nicht mehr schützen.«
Das Stimmengewirr wird lauter und die vielen Worte, die sich zu einem zornigen Stakkato vereinigen, sagen alle dasselbe. Sie sollen verschwinden. Wir stehen nicht mehr hinter ihnen. Ich weiß, wer jetzt vor unserer Tür
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